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22 - Im Reiche des silbernen Löwen III

22 - Im Reiche des silbernen Löwen III

Titel: 22 - Im Reiche des silbernen Löwen III Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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aufbewahrt werden, die bis zu den Hälsen herauf voll von den verschiedenen Betrunkenheiten sind. Der Weg von meiner Küche nach diesem Kabu war gar nicht weit, und es kam zuweilen vor, daß die Tür zu diesen Flaschen offen stand. Was glaubst du wohl, Effendi, was nun geschehen wird?“
    „Tifl verläuft sich in den Keller!“
    „Maschallah! Woher weißt du das?“
    „Ich vermute es.“
    „Er hat es dir nicht erzählt?“
    „Nein.“
    „Das würde mich auch wundern, denn er spricht nie davon. Denn seine Scham über das, was er dort tat, ist größer, als der ganze Keller ist! Aber so schnell, wie du denkst, geht das nicht. Ich muß es dir genau der Reihe nach Erzählen. ‚Das Kind‘ hatte am Mittag bei mir gegessen, ich weiß noch ganz genau, was für Speisen und wieviel. Soll ich es dir sagen?“
    „Nein, ich danke dir.“
    „Ich hatte auch Dattelbrühe gemacht, über den dicken Reis zu gießen. Die war ihm zu dünn. Er zankte. Ich zankte wieder. Er wurde noch zorniger; ich auch. Er saß am Boden, und weil er da nicht länger war als ich, so benützte ich das sehr eilig und geschickt und stülpte ihm den ganzen Topf mitsamt der Dattelbrühe über den Kopf. Sie lief ihm in die Augen, in die Ohren, in die Nase, in den Mund. Er begann zu schreien, zu husten, zu niesen. Der Topf paßte ihm nur ganz eng auf den Kopf. Er schob und schob, um ihn zu entfernen; das ging sehr langsam. Sein Grimm wuchs, und ich bekam Angst. Ich glaubte, er werde sich dann mit dem Topf an mir rächen. Ich floh also aus der Küche und versteckte mich. Erst nach langer, langer Zeit getraute ich mich zurück. Tifl war fort; der Topf lag zerbrochen am Boden. Ich las die Scherben auf und gelobte mir, die Dattelbrühe künftig noch viel dünner zu machen, als sie heut gewesen war. Der Nachmittag verging. Die Zeit zum Abendessen kam, aber Tifl nicht. Da wurde ich traurig und nahm mir vor, die Brühe doch nicht dünner zu machen. Am nächsten Morgen war Tifl noch nicht da; am Mittag auch nicht. Da grämte ich mich, denn ich sah ein, daß die Dattelbrühe viel, viel dicker sein müsse. Als dann am Abend und wieder am Morgen ‚das Kind‘ immer noch nicht kam, gelobte ich mir, die Brühe noch dicker als den dicken Reis zu machen. Ich weinte. Aber das half nichts, denn früh fehlte Tifl immer noch. Nun erkundigte ich mich nach ihm. Niemand hatte ihn gesehen. Man suchte, aber man fand ihn nicht. Wie ich mich da grämte! Ich suchte die weggeworfenen Scherben wieder zusammen, sah sie traurig an und kam zu dem Entschluß, sobald er wiederkehre, eine so dicke Dattelbrühe zu machen, daß man sie als Reitsattel auf den Rücken eines Kamels schnallen könne. Das half! Denn kaum hatte ich das gedacht, so kam der Märd-y-Schareb (Kellermeister) in die Küche gelaufen und meldete ganz außer Atem, daß Tifl gefunden worden sei. Er liege jammernd im Keller und könne nicht herauf, weil er ein Bein gebrochen habe. Weißt du, was ich tat, Effendi?
    „Du liefst in den Keller!“
    „Ich lief? Oh, ich glaube, ich bin geflogen! Ja, mein Tifl lag unten. Er war grad wieder nüchtern geworden.“
    „Nüchtern? War er denn betrunken gewesen?“
    „Wie kannst du fragen! Wenn ihr Männer zornig seid, tut ihr alles, was verboten ist! Der Zorn ist ja schon an sich nichts weiter als eine Art von Rausch, von Betrunkenheit, und wenn dann so ein vom Zorn berauschtes ‚Kind‘ gar noch die Tür des Kellers offen findet, so kann man sich denken, daß es nicht vorübergeht. Tifl war also hinabgestiegen. Du weißt, was er für ein Esser war. Meinst du, daß er nicht trinken konnte? Es lagen zehn oder zwölf leere Flaschen neben ihm.“
    „Wie hatte er sie geöffnet!“
    „Die Hälse fehlten. Er hatte sie abgeschlagen. Aber wie er das gemacht hatte, das wußte er nicht mehr. Er erinnerte sich nur, großen Durst gehabt und viel, sehr viel getrunken zu haben. Erst später fiel ihm ein, daß er die vielen steilen Stufen heraufgestiegen, aber wieder hinabgefallen sei. Dabei hatte er das Bein gebrochen. Es war ihm unmöglich gewesen, aufzustehen. Er glaubte, daß er dann weitergetrunken habe, bis er eingeschlafen sei. Aber welch ein Schlaf! Erst dem Märd-y-Schareb war es gelungen, ihn durch fortgesetztes Rütteln aufzuwecken.“
    „Er wird inzwischen doch zuweilen für kurze Zeit erwacht sein. Stand es gefährlich mit dem Bein?“
    „Es war unterhalb des Knies gebrochen und so sehr geschwollen, daß der Hekim, welcher gerufen wurde, sagte, er könne nicht eher etwas tun,

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