22 - Im Reiche des silbernen Löwen III
mir ein großes Wort, ein Wort, so groß, daß es die ganze Welt umfaßt. Da brach ich wieder nieder, um ganz in meiner Kleinheit zu verschwinden. Und als ich dann, nach langer, langer Zeit, als Auferstandener kam, um ihr zu danken, da sagte sie, sie habe mir zu danken, weil sie in mir zum zweiten Mal auferstanden sei. Wirst du wohl ihren Namen nun erraten? Er ist auch dir von Herzen lieb geworden.“
„Unsere Marah Durimeh!“
Dieser Name flog förmlich aus meinem Mund. Es konnte ja keine andere sein als sie!
„Ja, sie, die einzige!“ sagte er. „Denk, daß sie hier an deiner Seite sitzt und dir erzählt von jemand, dem nichts erspart geblieben ist von allem, was die Erde Schlimmes bietet, und der nur durch das Schweigen jenen Sieg errang, mit dem man nicht den Feind allein, nein, auch sich selbst bezwingt. Denn merke wohl: Dein größter Feind bist du. Um ihn versammelt sich der anderen ganze Schar. Sie steht und fällt mit ihm. Er ist's, der fallen muß in deiner Sterbestunde. Für den, der dann, von dir befreit, das andere Leben lebt, gibt es dann nur noch Menschen, im schlimmsten Fall beklagenswerte Toren, doch Feinde, Feinde nie!“
Hierauf legte er mir die Hand auf die Brust und sprach:
„Laß dein Herz so ruhig schlagen, wie das meine schlägt! Wenn es aufbegehren will, so gebiete ihm Schweigen! Betrachte die Menschen so, als ob du bereits gestorben seist und von ihnen nicht mehr erreicht werden könntest! Es gehöre ihnen von allem, was du bist und was du hast, nichts, nichts, als nur allein die Liebe!“
Er ging hierauf wieder fort.
Welch ein Mensch! Solche Charaktere können wohl nur in der Einsamkeit der Berge reifen! Aber glücklicherweise ragen Berge überall. Warum sollen es immer nur geographische Höhen sein? Gibt es nicht auch noch andere Alpen, auf denen man sich ein ‚hohes Haus‘ erbauen und ein ‚Beit-y-Chodeh‘ errichten kann? Redet nicht auch die Heilige Schrift von solchen Bergen? Sagt nicht der Psalmist, daß von ihnen seine Hilfe komme? An was für Berge dachte ich wohl, als ich vor Jahren, im Notizbuch Reiseeindrücke festhaltend, auch folgende Zeilen niederschrieb:
„Schon weicht die Fläche hinter mir;
Die Ebene beginnt zu steigen.
So naht das Herz, Jehovah, dir,
Wenn hinter ihm die Zweifel weichen.
Mir ist, als ob am Horizont
Ich Bergesspitzen leuchten sähe.
So reinigt, läutert, wärmt und sonnt
Die Seele sich in Himmelsnähe.
Hinauf, hinauf! Ich raste nicht.
Ich will und will nicht unten bleiben.
Mein frömmstes, seligstes Gedicht
Will ich beim Glühn der Alpen schreiben.
Das werde ich dann heimlich, still
In einem Kirchlein niederlegen.
Vielleicht gereicht's, so Gott es will,
Dem, der es findet, einst zum Segen!“
Unsere gute Pekala hatte sich, als der Ustad kam, bescheiden vom Tisch zurückgezogen. Nun, als er fort war, kam sie wieder, um von neuem ihres Amtes zu walten. Die Entfernung war allerdings keine große gewesen. Darum hatte sie Verschiedenes von dem, was gesprochen worden war, gehört. Das zeigte sich durch die Frage, welche sie sogleich an mich richtete:
„Nicht wahr, ich hatte mit dem Sterbetage recht, Effendi? Er sprach doch auch mit dir davon.“
„Ja; aber da wirst du mir eine Bitte zu erfüllen haben, liebe Pekala.“
„Sehr gern! Welche?“
„Denke nicht zu oft und zu viel über den deinigen nach! Und sei schweigsam über das, was du hier vernommen hast! Wenn man von so etwas redet, muß man es verstanden haben.“
„Das habe ich freilich nicht. Es war zu schwer für mich, es zu verstehen.“
„Trotzdem du dich eine Kizfeilesuf genannt hast?“ scherzte ich.
„Das bin ich auch. Aber es hat jeder Mensch seine eigene Feilesufluk (Philosophie), die der andere nicht begreift. Die meinige wächst in der Küche und sagt mir jeden Tag, daß alle Menschen essen müssen. Darum setze dich nun wieder nieder, und laß mich die Freude erleben, daß es dir schmeckt!“
„Das wird nun wohl nicht so werden, wie du wünschst. Ich bitte dich, noch einige Zeit Geduld zu haben.“
„Warum, Effendi? Willst du nun etwa gar nicht essen?“
„Nicht sogleich. Ich möchte nachdenken. Geh mit deinem Tifl ein Stündchen spazieren, und komm dann wieder!“
„Wie schade! Das ist es ja eben, was meine Feilesufluk nicht begreifen kann! Wenn gelehrte Männer in den Sattel ihres Geistes steigen, um in seinem Reich herumzugaloppieren, da lassen sie ihn hungern. Sie sagen, sie können nicht essen, wenn sie denken. Was wird er da wohl für Sprünge mit
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