22 - Im Reiche des silbernen Löwen III
nicht? Warum? Ich bitte dich!“
Sie nahm sie vom Tisch und hielt sie mir wieder hin. Ich wehrte ihre Hand aber ab.
„Nein, meine gute Pekala! Ich will von diesem Tuch, von diesem Porzellan und mit diesem Messer und dieser Gabel essen, weil ich dich sonst betrüben würde – vielleicht auch noch einen anderen. Aber was nicht unbedingt nötig ist, das werde ich nicht berühren.“
„So sag mir aber, warum?“
„Du ahnst es wahrscheinlich nicht; aber diese Sachen sind, außer für diesen anderen, wohl eigentlich unberührbar. Ich vermute, daß er sie außerordentlich ehrt, ja heilig hält.“
Sie sah mich nachdenklich an, trat ganz nahe zu mir her und sagte:
„Das ist wahrscheinlich richtig. Ich will es dir mitteilen, weil mir nicht verboten wurde, davon zu sprechen. Diese und noch einige andere Sachen sind in einer kleinen Lade wohl verwahrt. Es gibt einen Tag, einen einzigen Tag im Jahr, an dem der Ustad diese Lade aufschließt. Da deckt er sich den Tisch mit eigener Hand, ganz so, wie ich es hier gemacht habe. Ich bringe ihm die Speisen selbst hinauf. Ich sehe einen fränkischen Stuhl vor dem fränkischen Tisch; aber der Ustad sitzt noch nicht. Er steht mit gefalteten Händen am Fenster und schaut so unverwandt, wie innerlich betend, zu unserem lieben Beit-y-Chodeh hinüber. Er trägt an diesem Tag ein ganz altes, härenes Gewand, welches auch in dieser Lade liegt und hinten einen Baschlyk (Kapuze) hat. Ein ebenso alter Strick schlingt sich um seine Lenden, und um den Hals hat er eine Perlenschnur, an welcher ein kleines Bild hängt; was für eines, das weiß ich nicht. Er ißt erst dann, wenn ich wieder gegangen bin. Er ist an diesem Tag noch ernster und noch stiller, als zu jeder anderen Zeit. Niemand darf ihn stören, außer ich, wenn ich ihm das Essen bringe. Aber früh, am Morgen, kommt er herab und teilt an alle, die im hohen Haus wohnen, kleine, freundliche Geschenke aus, die er während des Jahres mit eigenen Händen für sie gefertigt hat. Begreifst du das?“
„Wenn du mir den Tag nennen kannst, so ist es möglich, daß ich es verstehe.“
„Ich habe ihn mir gar wohl gemerkt, und es ist für mich sehr leicht, ihn nicht zu vergessen, weil er mein Geburtstag ist.“
„Vielleicht ist es auch der seinige?“
„O nein. Das weiß ich ganz genau.“
„Woher?“
„Er selbst hat es mir gesagt. Ich habe bisher darüber geschwiegen, weil es so eigen, so geheimnisvoll klang; dir aber möchte ich es erzählen, grad dir.“
„Warum mir, liebe Pekala?“
„Weil er heut für dich jene Lade, die er so heilig hält, geöffnet hat. Er ließ mich zu sich kommen. Er hatte alle diese Sachen für dich bereitgelegt und übergab sie mir mit der Weisung, dich hier mit ihnen zu bedienen, sie aber von niemandem, höchstens noch von ‚unserem Kind‘, berühren zu lassen. Das habe ich getan. Kein Mensch hat sie gesehen.“
„Sagte er noch sonst etwas hierüber?“
„Ja. Fast ganz dasselbe, was er mir damals sagte. Ich will es dir erzählen. Tifl, steig vom Baum herab. Leg die Birnen her, und geh vor an den Weg! Es soll uns niemand stören.“
Er gehorchte gleich, denn er hatte alles gehört und sah also ein, weshalb er fortgeschickt wurde. Als er gegangen war, berichtete sie:
„Es war an diesem Tag. Der Ustad hatte mich reicher beschenkt als die anderen, weil er wußte, daß mein Geburtstag sei. Als es gegen Abend dunkelte, ging ich hinauf zu ihm, um die Reste der Mahlzeiten zu holen. Du wirst gesehen haben, daß vor seinem Gemach ein Schahnischin (Söller) ist. Da saß er auf dem fränkischen Stuhl, was er sonst niemals tut, und las in einem Buch, obgleich es auch da draußen schon fast dunkel war. Als er mich hörte, kam er herein, um das Licht anzuzünden. Ich hatte mich so sehr gefreut und sagte ihm noch einmal für die heutigen Geschenke Dank. Da schaute er im Dämmerschein der kleinen Kerze von so hoch zu mir hernieder, legte mir die Hand auf den Kopf und sprach:
‚Der eine gibt; der andere nimmt. Der eine stirbt; der andere wird geboren. Wenn die Menschen doch wüßten, daß jeder Geburtstag auch zugleich ein Tag des Sterbens ist! Mein Sterbetag ist heute!‘“
Sie schwieg und wandte sich halb von mir ab, indem sie mit der Hand nach ihren Augen griff. Als sie sich wieder herumdrehte, sah ich die Feuchtigkeit der Träne noch, die sie hatte entfernen wollen. Dann fuhr sie fort:
„Ich weiß nicht, wie es kam, ich mußte weinen, als ich diese seine Worte hörte. Und indem ich weinte, sprach
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