22 - Im Reiche des silbernen Löwen III
ist von den dunkeln Fluten, auf deren Grund die schwere, stählerne Schlepperkette ruht, mit fortgerissen worden!
Aber droben auf den Bergen, da liegen sie, in tiefer Einsamkeit, vom hohen Forst beschützt, die immer klaren Wasserspiegel. Von unentweihten Quellen gespeist, fließen sie über von Heil und Segen für jedermann, der von dem sumpf- und fieberreichen Strom aufwärts nach seinem Ursprung wandert. Anstatt Menschenrecht herrscht hier noch Gottesrecht. Die holde Fee der Menschheitskinderzeit geht liebreich wandeln von Haus zu Haus. Des Edens fromme Sage wird beim Schein des brennenden Spans an jedem Herd erzählt, und wenn die Ahne im lauschenden Kreis der Enkel eine mit ihr altgewordene Mär erzählt, so hebt sie wohl mit den Worten an:
„Als wir noch Kinder waren.“
Sie weiß ja nicht, daß sie stets Kind geblieben ist!
So sitzt nach vollbrachtem Tagewerk oft auch die gute Pekala mit ‚ihrem Kind‘ auf jener Bank im Garten, wo ich von beiden als Pflaumendieb überfallen wurde. Was mag sie ihm erzählen, die ebenso Kind wie er geblieben ist? Hat doch der Ustad es erreicht, seine früher unbotmäßigen Dschamikun in wohlerzogene, dankbare Kinder zu verwandeln! Mit welchen Mitteln hat er das fertiggebracht?
Mit Hilfe jener Fee, welche keine Gewalttat kennt und doch alle Menschen zwingt: sie heißt – die Güte! Aber mit welchen anderen Mächten mag er gerungen haben, um sie in sich abzutöten, ehe er den Weg nach diesen seinen Bergen fand!
Es sei ihm nichts, gar nichts erspart geblieben, sagte er. Nun aber war es glücklich überwunden. Warum geben unsere Dichter solchen Lebenskämpfen fast immer einen tragischen Schluß? Kennen sie unsern Herrgott nicht? Die Erdenbühne, für welche er seine Gestalten schafft und, wie es scheint, nach freiem Willen handeln läßt, kennt die Tragik nur als kurze Episode. So ist auch das, was der befangene Mensch für ein Lustspiel, einen Schwank oder gar für eine Farce hält, nichts weiter als eine vom Schauspieler eigenmächtig extemporierte Szene, welche der unbestechliche Regisseur sehr bald zu rügen weiß. Auf dieser Bühne geht niemand tragisch unter. Wer in dem einen Akt am Boden zu liegen scheint, darf sich im nächsten zum neuen Kampf erheben. Und wenn für ihn nach endlich errungenem Sieg die letzte Erdenszene kommt, so hält der Dichter selbst den Kranz für ihn bereit.
Ich saß hier – um mich des Bühnenjargons zu bedienen – vor den pietätvoll aufbewahrten Requisiten mir unbekannter Leidensszenen. Warum war es grad mir erlaubt, sie zu berühren? Weil ich Marah Durimeh kannte? Weil der Ustad Grund zu haben glaubte, anzunehmen, daß ich, so wie er, durch die Schule der Leiden zu gehen haben werde? Es mußte noch einen anderen, dritten Grund haben, den ich aber jetzt wohl noch nicht wissen durfte. Ich verzichtete darauf, über ihn nachzudenken. Wer so weitausschauend ist, den Berg mit jenem Amen sagenden Alabasterzelt zu krönen, der weiß auch wohl, wann die rechte Zeit, zu sprechen, gekommen ist.
War denn schon eine Stunde vorüber? Wohl kaum eine halbe. Aber Pekala hatte es nicht länger ausgehalten. Sie kam jetzt mit ihrem Tifl wieder und sagte, jedenfalls um ihre zu schnelle Rückkehr zu entschuldigen:
„Effendi, du mußt nun schnell essen. Kara Ben Halef ritt nach Hause, um beim Vater zu bleiben, damit seine Mutter zum Beit-y-Chodeh kommen könne. Sie ist da und fragt nach dir. Sie möchte dich gern bei sich haben.“
Ich brauchte die dienstfertige ‚Festjungfrau‘ eigentlich gar nicht; es lag ja alles bei der Hand. Aber sie ließ es sich nun einmal nicht nehmen, dabei zu sein. Jetzt griff sie nach der Flasche und dem Korkzieher. Indem sie letzteren verlegen betrachtete, sagte sie in ihrer vom Ustad jedenfalls nicht gewollten Offenheit:
„Flaschen sind sehr selten hier bei uns. Ich habe, seit ich hier bin, keine als nur diese hier gesehen. Ich weiß wirklich nicht, wie man es macht, um die Tapa (Kork) mit diesem eisernen Dinge herauszuziehen.“
„Trinkt der Ustad Wein?“ fragte ich.
„Nie. Es ist die einzige Flasche, die er hat. Alles, was gegoren ist, trinkt er nicht. Und alles, woran Blut war, ißt er nicht. Warum, das weiß ich nicht.“
„So lassen wir den Wein unberührt.“
„Aber er ist doch für dich bestimmt.“
„Es wird schon einmal ein Gast kommen, dem er nötiger ist als mir. Jetzt fange ich an!“
„Die Mohammedaner sagen ‚Bismilla‘ (in Gottes Namen), wenn sie zu essen beginnen. Das ist ein gutes Wort.
Weitere Kostenlose Bücher