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22 - Im Reiche des silbernen Löwen III

22 - Im Reiche des silbernen Löwen III

Titel: 22 - Im Reiche des silbernen Löwen III Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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Ehrfurcht entgegengesehen, wie ich sie fühlte, als dieser Patriarch der Kurden sich mir näherte. Aus seinen Augen schaute mich die Seelengüte an, und mir war es, als ob ich meine Arme um ihn schlingen müsse, um ihm zu sagen, daß ich ihn nie, niemals verlassen möchte.
    Ich wollte sprechen, um ihm zu danken.
    Er sah das und veranlaßte mich durch eine kleine, stille Handbewegung, dies nicht zu tun. Sein Blick überflog den Tisch und blieb auf der unbenutzten Serviette haften. Dann sah er mich mit einem lieben, lieben Blick an.
    Er hatte mich durchschaut.
    „Es war eine Segenshand, die dieses Speisetuch mit vielen, vielen Stichen für mich säumte“, sagte er. „Es war am Tage, da ich einstens starb, da schenkte sie es mir. Nun nehme ich es in die meinige von Jahr zu Jahr, wenn ich das stumme Gedächtnismahl des eigenen Todes halte. Warum steht heut derselbe Tisch für dich gedeckt? Ich liebe dich und habe dich erkannt. Du bist derselbe, der ich einstens war, in jener Zeit, da ich noch suchen ging. Es lebt der Geist in dir, der damals mich verführte, ihn für den Geist des Weltenalls zu halten. Und doch ist's nur der Geist der armen, kleinen Erde, der seinen Menschen vorgelogen hat, er sei der Allmächtige, der den ganzen, unendlich weiten Himmel nur allein für sie geschaffen habe. Du wirst wie ich aus diesem Himmel herabgerissen werden, der weder ihm noch dir gehört, wenn du ihm weiter folgst. Du wirst da unten liegen, so wie einst ich am Boden lag – ein stillgewordener Acker Gottes, über den des Todes Pflugschar gehen muß, damit er zubereitet sei, wenn der Sämann kommt, den man das Leid der Erde nennt. Da wird der Pflug aus deinem Herzen reißen, was jener Erdengeist hineingepflanzt. Und wenn er seine letzte, tiefste Furche zieht und dir die stärkste Wurzel aus dem Herzen zerrt, dann mache dich bereit: Es naht dein – – – Sterbetag!“
    Sein Auge ruhte nicht auf mir. Er hatte vor sich hin, wie in weite Ferne geschaut, als ob er das alles sehe, was er sagte. Nun hob er den Blick zu den Baumkronen empor, deren Zweige und Nadeln im Sonnenstrahl goldgerändert zitterten. Ein milder Farbenschein, wie durch eine rosig angehauchte Lichtglocke geworfen, überflutete sein Angesicht.
    „Dann naht der Sämann und gibt den Furchen neues Leben“, fuhr er fort: „Du wirst ihm stillhalten müssen, so wie auch ich ihm stillhielt. Die Egge schmerzt; die Stacheln reißen Wunden. Doch darfst du sie nicht achten. So viele ihrer seien, aus jeder sprießt und grünt es froh zum Himmel auf, damit der stillgewordene Acker Gottes dereinst zum reichen Erntefeld werde. Das meine liegt im wilden Kurdistan. Umringt von Feinden, die mich hassen, neiden! Die Berge tragen meine Einsamkeit; sie sind mit mir mein Schutz, der nimmer wankt. Wo aber, fragst du, wird das deine liegen!“
    Jetzt senkte er den Blick zu mir nieder und sah mir lächelnd ins Gesicht.
    Seine Hand legte sich auf mein Haupt und glitt dann leise, fast zärtlich an der Wange nieder. Dann sprach er weiter:
    „Wo es liegt? Du weißt es nicht, und doch hab' ich's von dir erfahren. Ich stand an deinem Lager. Kein Mensch war da, als ich und meine beiden Kranken. Du lagst besinnungslos, doch sprachst du mit dir selbst. Da lernte ich dich kennen. Da hörte ich zwar dich, doch auch den Geist, der einst der meine war. Dann klangen liebe Worte, die Worte deiner Seele. Du ahnst wohl nicht, wie mächtig Seelen sind! Sie wird den Geist bezwingen, wie einst die meine ihn bezwang. Was ich dir sage, das ist, als hätte sie es gesagt! Dein Erntefeld liegt fern von diesem meinem Land. Es ist ein anderes als das meinige. Ich sehe Täler und ich sehe Berge. Auch dir ist, so wie mir, die Ebene gram. Drum mache es so wie ich: Such auf den Bergen Schutz, und steige nie zur Fläche nieder, auf der die dunklen Zelte deiner Feinde stehen. Geh in die hehre Einsamkeit, wie ich, und sei, wenn dir ein Gegner naht, so stumm, wie ich es heut zu meinen Feinden war. Auch dir lebt ein Peder, der gern es übernimmt, den Feiertag, den du zu leben hast, vom Schmutz des Werktags zu befreien!“
    Er griff jetzt nach der Serviette, gab sie mir und sagte:
    „Du dachtest zart. Ich danke dir dafür. Doch sei mein Gast an meinem Sterbetag! Nimm dieses Tuch getrost! Es ist für mich ein großes Heiligtum. Die mir es gab, sie stand an meiner Seite, als ich im Sterben lag. Die letzte, tiefste Furche ging durch mich. Da bäumte ich mich auf. Ich wollte meinem Leiden nicht gehorchen. Sie aber sagte

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