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22 - Im Reiche des silbernen Löwen III

22 - Im Reiche des silbernen Löwen III

Titel: 22 - Im Reiche des silbernen Löwen III Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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ihnen machen können! Gib ihm Futter, Effendi, viel Futter! Wenn du das tust, dann wirst du erst bemerken und an dir selbst erfahren, was ich, eure Pekala, unter Nachdenken verstehe! Was soll aus dir werden? Die Seele hat keinen Platz; der Geist muß darben, und der Körper darf nicht essen. Du gehst mir ja zugrunde! Wozu bin ich denn mit meiner schönen, großen Küche da? Doch dazu, daß alles, was ich mache, aufgegessen wird! Doch will ich nicht zanken, denn ich sehe, daß es dir weh tut. Ich gehe!“
    Weh tun? Das nun freilich nicht! Sie deutete meine Bemühungen, das Lachen zu unterdrücken, falsch. Es waren nur wenige Schritte, welche sie tat; dann blieb sie stehen, sah auf die Erde nieder, kam wieder zurück, ganz nahe an mich heran und sagte halblaut, damit Tifl, der sich nun wieder auf der Lichtung befand, es nicht hören möge:
    „Weißt du, was ich mir über unsern Ustad ausgesonnen habe? Während er mit dir sprach, kam es mir in den Kopf.“
    „Was?“
    „Es liegt ein Geheimnis über ihm, und ich habe etwas davon entdeckt. Er kann alles; er weiß alles. Er kennt das ganze Morgen- und wohl auch sehr viel vom Abendland. Er hat sehr, sehr viele Bücher in abendländischer Schrift. Ich glaube, daß er früher dort gewesen ist, um alles, was man dort lernen kann, sich anzueignen. Da hat er auch an solchen Tischen, wie dieser ist, gegessen. Er kehrte in die Heimat zurück. Dann starb etwas in ihm; denn in dieser Weise meint er es doch, wenn er von seinem Tod spricht. Das Gedeck hier ist ein Andenken an diesen seinen Toten, und darum hebt er es so heilig auf und sucht es an jedem Sterbetag hervor. Was sagst du dazu? Ob ich wohl recht habe?“
    „Pekala, du hast ein kluges Köpfchen!“
    „Nichts weiter? Das habe ich längst gewußt! Aber es freut mich, daß auch du es nun erfahren hast. Jetzt gehe ich wirklich!“
    Und sie ging auch wirklich; Tifl mit. Ich war allein.
    Über mir schlug ein persischer Ispinos (Finke). Er sprang von Zweig zu Zweig, immer weiter herab.
    Ich warf ihm Brocken hin, und er kam bis an den Tisch heran, um sie zu nehmen. Seine hellen Augen waren ohne Furcht auf mich gerichtet. Warum läßt die sogenannte unvernünftige Kreatur sich von der Güte locken?
    Warum lacht nur der Mensch über den, der selbstlos alle liebt?
    Oder ist das nicht der Mensch überhaupt, sondern nur der Menschengeist, der raffinierende Teil der ‚Schöpfungskrone‘?
    Wie glücklich dann die niederen Geschöpfe, von denen man behauptet, daß sie keinen ‚Geist‘ besitzen!
    Was versteht das gesellschaftliche Tier, Mensch genannt, denn eigentlich unter ‚Liebe‘? Wenn die Hassenden sich zusammenrotten, damit Liga gegen Liga, Konfession gegen Konfession, Fraktion gegen Fraktion aufeinanderplatze, so behaupten auch sie, in Liebe verbunden zu sein. Eine Liebe aber, welche hassen kann, gibt es einfach nicht!
    In ganz derselben Weise belieb- und zugleich behaßäugeln sich die Völker ebenso wie auch die einzelnen Individuen. Wer aber wahre Liebe bringt oder brachte, die vor allen Dingen und zunächst nach Frieden strebt, der wurde stets und wird noch heute an das liebe Kreuz geschlagen. Und dabei behauptet jede Partei, daß sie allein es sei, die den Frieden wolle! Natürlich aber behält sie sich stillschweigend vor, daß er nur zu ihrem Vorteil abzuschließen sei! Ist das denn Frieden? Nein, sondern neuer Grund zum Kampf!
    Das Weltmeer kann nicht ruhig sein. Es ist eine den Winden preisgegebene, willenlose Flüssigkeit. Aber muß denn die Menschheit mit ihren anderthalbtausend Millionen bewußter und denkender Intelligenzen sich ebenso in stetem Wogengang befinden? Muß der hochbegabte, seiner Verantwortlichkeit sich sehr wohl bewußte Mensch, sobald sein Nachbar wellt, sofort auch Wellen schlagen und sie weitergeben? Gibt es keinen Halt auf weiter See? Kein festes Land? Und muß auch jedes der vorhin gezählten kleinen, winzigen Binnenwässerlein gleich lächerlich hohe Brandung schlagen, wenn vom anderen her ein Lufthauch es berührt? Kennt denn niemand jene Wunderhand, die damals, als auf dem See Genezareth der Ruf ‚Herr, wir verderben‘ erscholl, den Elementen sofort Ruhe gab? Weiß man nur in seinem Namen, aber nicht in seinem Geiste zu handeln? Erheben sich nicht augenblicklich tausend Wogen ringsumher, wenn es einmal eine freundliche Herzenswelle wagt, sich von dem allgemeinen Strom zu trennen? Wie manche solche Welle, die nach den Gärten und Feldern des Ufers fließen wollte, um sie zu befruchten,

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