22 - Im Reiche des silbernen Löwen III
Musik und sehr berühmte Sänger und Sängerinnen“, antwortete ich.
„Aber wir nicht. Du kennst doch unsere arabische Musik. Ich habe sie bisher für unvergleichlich gehalten. Aber was ist sie gegen diese hier! Wir schreien, quieken und jammern; das nennen wir singen. Hier aber habe ich zum ersten Male in meinem Leben singen gehört!“
„Wirklich?“
„Ja.“
„Besinne dich, Hanneh!“
„Worauf? Ich weiß nichts.“
„Ich habe im Lager der Haddedihn einige Male deutsche Lieder gesungen, um euch zu zeigen, wie sie klingen. Nun sagst du, du hast nie singen gehört!“
Es machte mir heimlich Spaß, sie in Verlegenheit zu bringen. Sie errötete zwar, war aber doch schnell mit der Antwort da:
„Das hatte ich vergessen. Auch ist es ein Unterschied, ob nur einer singt oder mehrere.“
„Tifl sang auch allein!“
„Oh, der! Nimm es mir nicht übel, Effendi, aber an den kommst selbst du noch lange nicht. Er selbst ist ein so langer, langer Mensch. Aber seine Stimme ist noch tausendmal länger als er. Sie reicht, so weit das ganze Tal sich dehnt!“
„Es scheint sehr praktisch zu sein, die Stimme nach ihrer Länge zu beurteilen!“
„Natürlich ist das richtig! Tust du das nicht auch? Denke doch, wenn vorhin die beiden Lieder hier im Tempel gesungen wurden! Sie sind aber so lang, daß ich sie noch jetzt in meinen Ohren und in meinem Herzen klingen höre.“
„Wo warst du, als man sang?“
„Halef schlief fest; da brauchte ich nicht ganz in seiner Nähe zu sein. Ich setzte mich an deine Säule, wo ich dich bei unserer Ankunft sah. Da war es plötzlich, als ob sich der Himmel öffne und als ob die heiligen Malaika (Engel) ihre Stimmen hören ließen, um Allahs Herrlichkeit zu preisen. Da faltete ich die Hände, denn es war jemand in mir, der beten wollte. Wer es war, das weiß ich nicht; aber ich fühlte es, daß er auch vom Himmel ist. – Was haben dort die Perser mit dem Pferd?“
„Weißt du, warum sie gekommen sind und wie wir sie empfangen haben?“
„Ja. Kara erzählte es mir. Jetzt stehen sie dort bei der ‚Sahm‘ des Ustad. Sie sprechen von ihr. Tifl kommt. Sie reden mit ihm. Er tut so stolz. Jetzt lacht er über sie. Sie scheinen sich zu ärgern. Er wird das Pferd gelobt haben; sie aber tadeln es.“
So schien es allerdings zu sein. Sie waren vom Waldrand herabgekommen, denn sie fühlten wohl das Bedürfnis, nicht so allein für sich zu bleiben. Nun beschäftigten sie sich mit der ‚Sahm‘, deren Verteidiger Tifl machte. Das dauerte längere Zeit. Sie schienen nicht bloß über das Pferd, sondern auch über andere Dinge mit ihm zu sprechen. Dann suchten sie den Peder auf, mit welchem sie einige Zeit verhandelten. Es schien wichtig zu sein, denn er schickte einen Boten zu den Ältesten, um sie zusammenrufen zu lassen. Dann kam er zu mir.
„Effendi, die Dschema wird gebildet. Ich bitte dich, mit beizuwohnen“, sagte er.
„In welcher Angelegenheit?“
„Der Blutrache wegen. Die Perser wollen fort. Das ist uns lieb. Darum bin ich auf ihren Wunsch, jetzt in Kürze zu verhandeln, eingegangen.“
„An welchem Ort wird es sein?“
„Da oben, wo sie gesessen haben. Bring auch unsere Freundin Hanneh mit.“
„Mich?“ fragte sie. „Was hat ein Weib in eurer Dschema und mit dieser Blutrache zu schaffen?“
„Weil ein Weib, die Frau des Scheiks der Kalhuran, mit in sie verstrickt ist. Wir möchten dich ersuchen, an ihrer Stelle zu sprechen. Kara Ben Nemsi wird sich ihres Mannes annehmen. Unser Ustad wollte es selbst tun; aber weil die Beratung so plötzlich kommt und er fortgegangen ist, um erst gegen Abend wiederzukommen, kann ich ihn nicht damit belästigen.“
Als er fort war, sagte Hanneh:
„Ist das nicht sonderbar, Sihdi, daß man mich zu der Versammlung der Ältesten ruft?“
„Es ist noch eine viel größere Ehre für dich, als für mich, Hanneh; du kannst stolz auf sie sein!“
„Ich bin es auch. Was sind dieses Dschamikun doch für seltene Menschen! Ich werde für die Frau des Scheiks sprechen, als ob ich sie selbst sei. Ich habe sie gesehen und mit ihr gesprochen. Sie heißt Aminen und soll mit meiner Verteidigung zufrieden sein!“
„Da will ich dir eine wichtige Mitteilung machen, meine liebe Hanneh. Ich halte nämlich diesen Bluträcher nicht für einen Moslem. Wahrscheinlich ist auch sein Sohn keiner gewesen. Es gibt zwei berühmte arabische Rechtslehrer, El Mohekkik und Minhadj, nach deren Aussprüchen man vorkommenden Falls entscheidet. Sie haben
Weitere Kostenlose Bücher