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22 - Im Reiche des silbernen Löwen III

22 - Im Reiche des silbernen Löwen III

Titel: 22 - Im Reiche des silbernen Löwen III Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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unterhalten. Auch lag es für den Scheik, der überdies die Gegend genau kannte, sehr nahe, sich an der Spitze des kleinen Zuges zu halten. Vielleicht war er überhaupt ein schweigsamer Mann, der nur dann sprach, wenn er es für nötig hielt. Oder galt es bei ihm als ein Beweis der Achtung und Höflichkeit, sich nicht zu uns zu gesellen und uns mit neugierigen Fragen und überflüssigen Reden zu belästigen? Wahrscheinlich hielt er sich auch nicht für befähigt oder erfahren genug, auf ein Gespräch mit Leuten einzugehen, denen er sich nicht geistig gleichgesellt fühlte. Kurz, es gab Gründe genug, seine Absonderung von uns zu erklären. Nur an eines dachten wir nicht, nämlich daß ihn das böse Gewissen oder die Vorsicht abhalte, neben uns zu reiten und sich nach Verhältnissen fragen zu lassen, über welche er nicht Auskunft geben wollte. Da hätten wir ihn ja für unehrlich halten müssen, ihn, der doch eigentlich unser Retter war, und dazu fehlte uns, zumal in unserer gegenwärtigen Lage, die Befähigung. Übrigens kam es zuweilen vor, daß er uns eine Bemerkung über den Weg, die Gegend oder über die Spuren, denen wir folgten, zuwarf, und das genügte uns so vollständig, daß wir gar nicht mehr von ihm verlangten.
    Mich beschäftigte der Gedanke an Halef außerordentlich. Mir erschienen seine Wangen jetzt noch tiefer als vorher eingefallen. Ich sah sie bald sich entfärben, bald dunkler werden. Oder bildete ich mir das nur ein? Seine Augen blickten jetzt matt und starr, und gar nicht lange, so schienen sie in ungewöhnlichem Glanz zu strahlen. Auch hierin konnte ich mich täuschen, doch nicht darin, daß er zuweilen tief und seufzend Atem holte, was ich bei ihm noch nie bemerkt hatte. War seine Frage nach dem Sterben einer Vorahnung entsprungen, daß eine schwere Krankheit die fleischlosen, gierigen Hände nach ihm ausstrecke? Fast erschrak ich, denn grad als mir dieser Gedanke kam, wendete er mir sein Gesicht zu und sagte:
    „Sihdi, ich komme mit meiner Frage noch einmal: Wie denkst du über das Sterben?“
    „Wir haben das ja schon besprochen“, antwortete ich.
    „Nein, noch nicht!“
    „Wieso?“
    „Du hast mir nicht geantwortet. Du warst so klug, wie du immer bist, wenn du meinst, daß ich nach etwas frage, was ich noch nicht verstehen kann. Dann antwortest du mir dadurch, daß du mich selbst antworten läßt. Aber ich wollte doch nicht hören, was ich denke, sondern wie du denkst.“
    „Lieber Halef, frage nicht jetzt nach solchen Dingen; es ist nicht Zeit dazu.“
    „Warum?“
    „Muß ich dir das erst erklären? Was weiß der Mensch vom Sterben? Und wenn er je darüber nachdenken, oder gar darüber sprechen will, so soll er das in stiller, geräuschloser Stunde tun, in welcher er nicht von dem Leben abgehalten wird, seine Gedanken mit dem Sterben zu beschäftigen. Sei gut, lieber Halef, und laß jetzt diese Frage fallen!“
    „Sei gut, lieber Halef! Oh, Sihdi, wenn du in dieser Weise zu mir sprichst, so könnte ich nicht nur vom Sterben sprechen, sondern selbst und wirklich sterben – für dich, aus Liebe, ja, aus Liebe! Wenn doch alle, alle Menschen nur in diesem Ton zueinander sprechen wollten!“
    „Alle?“
    „Ja, Sihdi!“
    „Auch die guten mit den bösen?“
    „Ja, auch; denn dann würden die einen vielleicht durch die anderen gerettet werden!“
    „Ist das dein Ernst?“
    „Ja.“
    „Hm!“
    „Wieder dieses ‚Hm!‘ Hinter diesem Brummen steckt stets etwas, was ich begangen habe. Wahrscheinlich auch jetzt. Ich bitte, es mir nicht vorzubrummen, sondern deutlich zu sagen!“
    „Denke an den Erzengel Midschaïl, dem das Schwert der Rache in die Hand gegeben ist! Wer wollte so streng Gericht halten wie er?“
    „Hm!“
    „Ah, wer brummt jetzt? Ich oder du? Wer wollte weder Gnade noch Güte walten lassen?“
    „Hm!“
    „Wer wollte wie ein Kieselstein oder wie ein hungriger Löwe sein?“
    „Hm!“
    „Ein schwarzer Panther, ein Krokodil? Wer wollte alle Qualen der Hölle spenden und sich dann lächelnden Mundes über diese Qualen freuen? Kennst du vielleicht den Mann?“
    „Hm!“
    Er hatte bei jedem ‚Hm!‘ den Kopf immer tiefer sinken lassen. Ich fuhr fort:
    „Und jetzt wünscht ganz derselbe Mann, daß alle, alle Menschen nur im Ton der Liebe zu einander sprechen möchten, auch die guten zu den bösen, weil die letzteren dadurch vielleicht gerettet werden könnten!“
    Da hob er den Kopf mit einem schnellen Ruck empor, wendete mir das liebe, liebe Gesicht wieder zu

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