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22 - Im Reiche des silbernen Löwen III

22 - Im Reiche des silbernen Löwen III

Titel: 22 - Im Reiche des silbernen Löwen III Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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und rief aus, indem ein helles, seelengutes Lächeln darüber flog:
    „Vergib, Sihdi! Dieser Mann, dieser Mensch, dieser Kerl, dieser Dummkopf ist der größte Esel, den es nur geben kann! Glaubst du das?“
    „Nein!“
    „So streite ich mich mit dir! Du kennst nämlich deinen Halef nicht!“
    „O doch!“
    „Nein, noch lange nicht! Auch ich habe ihn nicht gekannt, bis – bis – bis ich einmal ganz plötzlich den anderen kennen lernte.“
    „Den anderen?“
    „Ja. Hältst du es für möglich, daß ein Mensch aus zwei Personen bestehe?“
    Ich sah erstaunt zu ihm hinüber. Welch eine Frage!
    „Ja, da schaust du mich groß an!“ fuhr er fort. „Verzeihe mir, daß ich dir bisher die große, wichtige Entdeckung verschwieg, welche ich an mir gemacht habe! Ich bestehe aus zwei ganz ähnlichen und doch unendlich verschiedenen Wesen. Das eine ist gut, das andere schlimm. Beide zusammen heißen Hadschi Halef; stehen sie einander aber kämpfend gegenüber, so ist das schlimme der Hadschi und das gute der Halef. Verstehst du mich?“
    „Ja.“
    Jetzt war er es, der mich prüfend ansah. „Du verstehst mich? Sonderbar! Kämpft es etwa auch in dir so wie in mir?“
    „Ja, in jedem Menschen. Aber Millionen schenken diesem inneren Kampf keine Aufmerksamkeit, und darum sterben sie, ohne es zum Sieg zu bringen.“
    „Das will ich aber! Ich will siegen, darum kämpfe ich! Kein Mensch bemerkt das, und selbst du hast es nicht bemerkt. Es lebt einer in mir; der ist, als ob er von Allahs Himmel stamme, so freundlich, so gütig, so edel, so aufopfernd, so geduldig. Das ist dein Halef, den du liebst. Und es lebt einer in mir, der nicht vom Himmel stammt, denn er ist stolz, trotzig, unvorsichtig, alles übertreibend, prahlerisch, jähzornig, unversöhnlich, rachsüchtig. Das ist der Hadschi, der dir nicht gefällt und den du meinst, so oft dein ‚Hm!‘ sich hören läßt. Du wirst vielleicht fragen, warum ich den guten als den Halef und den schlimmen als den Hadschi bezeichne; aber wenn ich dir sage, daß Halef ein Mann und Hadschi ein Titel ist, so wirst du mich verstehen.“
    Für diejenigen, welche es noch nicht wissen, diene die Bemerkung, daß der Anhänger des Islam dann zum Hadschi wird, wenn er eine der heiligen mohammedanischen Städte der Pilger besucht und dort alle seine religiösen Obliegenheiten erfüllt hat. Ein Hadschi in vollstem Sinne ist der, welcher in Mekka, Medina und vielleicht sogar noch in Jerusalem zum Besuch der Omarmoschee gewesen ist. Für den Westafrikaner aber genügt es auch schon, das dort für heilig geltende Kaïrwan besucht zu haben.
    Halef hatte nach seinen letzten Worten eine kurze Pause gemacht. Dann fuhr er fort:
    „Als du mich damals in der Sahara kennenlerntest, war ich ein junger, unerfahrener und doch sehr eingebildeter Mensch. Ich nannte mich Hadschi, obgleich ich kein Recht hatte, diesen Titel zu führen. Du freilich durchschautest mich und lächeltest über diesen falschen Hadschi, der noch nie an einem der heiligen Orte gewesen war. Ich nannte sogar meinen Vater und auch meinen Großvater Hadschis, obgleich sie noch nicht einmal Kaïrwan im Lande Tunis gesehen hatten. Das war nicht nur eine Lüge, sondern sogar eine Übertreibung der Lüge bis auf meine Vorfahren zurück. Ich war eitel und ruhmsüchtig; ich prahlte; ich wollte mehr sein, als was ich war, und aus dieser Unwahrheit entsprangen alle anderen Fehler, welche sich über dein ‚Hm!‘ zu argen pflegen. Darum habe ich den schlimmen Kerl, der in mir steckt und mir so viel zu schaffen macht, den ‚Hadschi‘ genannt. Begreifst du mich jetzt, Sihdi?“
    „Sehr gut, mein lieber Halef.“
    „Und dieser ‚Hadschi‘ ist dir bekannt?“
    „Wahrscheinlich besser, als du denkst.“
    „So hoffe ich, daß dir auch der andere, der gute Kerl in mir bekannt ist, den ich mit meinem Namen, also mit ‚Halef‘ bezeichne. Denn dieser hat mir immer wieder zurückzuholen, was der andere mir von deiner Liebe und deiner Achtung raubt. Diese beiden so verschiedenen Wesen wohnen in mir und streiten sich unaufhörlich nicht nur um den Besitz meiner Persönlichkeit, sondern sogar um jedes meiner Worte und um jede meiner Taten. Wer von ihnen zuerst dagewesen und wer dann später gekommen ist, der Hadschi oder der Halef, das kann ich nicht sagen, denn ich habe damals nicht aufgepaßt. Seit einiger Zeit aber beobachte ich sie sehr genau, und da bemerkte ich, daß sie eigentlich gar nicht zueinander gehören und doch unendlich schwer

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