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22 - Im Reiche des silbernen Löwen III

22 - Im Reiche des silbernen Löwen III

Titel: 22 - Im Reiche des silbernen Löwen III Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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voneinander zu unterscheiden sind. Aber bemerkt habe ich doch, daß der Halef die Wahrheit liebt und von dem anderen nichts, gar nichts wissen will, während aber im Gegenteil der Hadschi sich oft die größte Mühe gibt, mich zu belügen und zu betrügen, indem er sich stellt, als ob er der Halef sei. Darum habe ich diesem Hadschi schon hundertmal die Gastfreundschaft in mir gekündigt; aber er hat keinen Gehorsam und kein Ehrgefühl; er bleibt, wo er ist, und wenn ich ihn einmal vorn zur Türe meines Zeltes hinausgeworfen habe, so ist er im nächsten Augenblick hinten unter der Leinwand schon wieder zu mir und in mich hineingekrochen. Sihdi, wenn ich den Kerl fassen könnte! Leider aber ist mir das nicht möglich! Er hat weder vor mir noch vor anderen Leuten Angst, und es gibt nur einen, vor dem er sieht fürchtet.“
    „Wer ist das?“
    „Das bist du. Ja du! Vor dir scheint er einen ungeheuren Respekt zu haben, aber weniger vor deiner Gestalt, als vielmehr vor deinen Augen. Erst seitdem ich dies bemerkt habe, weiß ich, daß es Augen gibt, welche der Warnung, und wieder andere, welche der Verführung dienen. Ich habe sehr oft schon in Augen gesehen, bei deren Blick dieser Hadschi sofort zu prahlen und zu übertreiben beginnt. Aber wenn du mich anschaust, weiß du, so ernst und doch so lächelnd, da kann er gar nicht anders, da ist er sofort still. Er schämt sich vor dir; ja er flieht vor dir. Wie das nur kommen mag? Kannst du es mir erklären?“
    „Vielleicht. Er flieht nämlich nicht vor mir, sondern vor dem guten Halef in dir. Dieser ist es ja, den ich lieb habe, und wenn die Liebe mein Auge auf dich richtet, ruft sie ihn wach und steht ihm bei, den anderen zu besiegen. Das ist ein Rätsel des menschlichen Seelenlebens, welches du nicht lösen kannst. Versuche also nicht, ihm nachzuforschen!“
    „Diese Warnung ist gar nicht nötig, denn du weißt ja, daß ich kein Freund von Rätseln bin. Aber über die beiden in mir wohnenden Wesen möchte ich doch gar so gern ins reine kommen. So oft ich über sie nachdenke, muß ich an die beiden Adamlar (Menschen) denken, von denen du zuweilen gesprochen hast. Es ist in deinem Ahd idsch dschedid (Neues Testament) von ihnen die Rede. Kannst du dich besinnen?“
    „Ja.“
    „Das heilige Buch der Christen spricht von einem alten Adam, den man ablegen soll, damit ein neuer, gerechterer und besserer an seine Stelle trete. Ob da wohl der Hadschi und der Halef gemeint sind, welche in mir wohnen?“
    „Ja; natürlich sind sie gemeint.“
    „Aber, Sihdi, da möchte ich doch beinahe sagen, daß das heilige Buch der Christen das klügste aller Bücher sei! Es schaut in das Innere des Menschen hinein und spricht von Geheimnissen, welche er selbst nicht kennt! Wenn eine Religion von mir mehr weiß, als ich selbst, so muß ich vor ihr Respekt haben, ich mag wollen oder nicht. Wie schade, daß wir von diesem Gespräch abbrechen müssen! Der Scheik der Dinarun scheint etwas Wichtigeres zu sehen!“
    Wir waren nämlich zuletzt durch eine Art von Engpaß geritten. Er mündete auf eine kleine Hochebene, von welcher aus er wiederum zu Tal führte. Der Scheik hatte seinem Pferd die Sporen gegeben, um uns vorauszukommen. Nun hielt er am Rande der Ebene und deutete uns durch Zeichen an, daß ihm dort irgend etwas in die Augen gefallen sei. Als wir uns ihm bis auf Hörweite genähert hatten, rief er uns zu:
    „Ich sehe die Räuber. Sie lagern da unten am Wasser. Kommt her; aber reitet nicht bis ganz an den Rand dieses Platzes, damit ihr nicht von ihnen gesehen werden! Der Berg da drüben ist der Dschebel Ma.“
    An diesem Berg hatte sich die Natur endlich einmal wenigstens einigermaßen grün gekleidet. Seine Hänge waren ziemlich hoch hinauf mit Gras bewachsen, und an seinem Fuß zog sich allerlei Buschwerk hin. Es gab da sogar einen kleinen, schmalen Wasserlauf, an dessen Ufer wir die, welche wir suchten, lagern sahen.
    „Wir müssen von den Pferden steigen, wenn wir sie unbemerkt beobachten wollen“, meinte der Scheik, indem er aus dem Sattel sprang, welchem Beispiel wir natürlich folgten. „Ich glaube, daß sie es sind. Oder meint ihr vielleicht, daß ich mich irre?“
    Er richtete diese Frage an mich und Halef. Der letztere antwortete:
    „Ich sehe gar niemand. Soeben legt sich mir wieder dieser rote Nebel vor die Augen, den mein Blick nicht durchdringen kann. Sihdi, sag, was du erblickst!“
    Ich sah zwölf Menschen und vierzehn Pferde. Zwei von diesen letzteren standen von

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