22 - Im Reiche des silbernen Löwen III
Wahrscheinlich kennst du die Forderungen unseres Koran nicht?“
„Ich kenne nicht nur ihn, sondern auch alle seine Auslegungen.“
„So mußt du auch wissen, daß ein Gast niemals belästigen kann! Allah zu gehorchen, ist das oberste der himmlischen Gesetze und den Gast zu ehren, die oberste der irdischen Vorschriften. Wir gehorchen Allah, und wir ehren unsere Gäste. Hoffentlich genügt es dir, daß ich dir dies versichere!“
Ich muß gestehen: Es lag in dem Wesen, in der Ausdrucksweise und in dem ganzen Verhalten dieses Mannes etwas, wodurch meine erst für ihn gehegte Sympathie verringert worden war. Ich konnte dieses Etwas zwar nicht definieren, aber es war vorhanden und übte eine mich zur Zurückhaltung mahnende Wirkung auf mich aus. Aber die Umstände verboten mir, dies in Worten auszudrücken. Darum antwortete ich:
„Es bedarf dieser Versicherung gar nicht. Aber als Gäste geehrt sein zu wollen und dazu auch noch ganz besondere Opfer beanspruchen zu wollen, das schien mir denn doch zu viel von euch verlangt.“
„Für einen Gast etwas zu tun, kann wie ein Opfer sein. Welche Belästigungen sind es, die du meinst?“
„Schau hin zu meinem Hadschi Halef, dem Scheik der Haddedihn! Ich vermute, daß eine Krankheit sich ihm naht, welche imstande ist, euch ungewöhnliche Sorge und Arbeit zu bereiten. Meine Gewissenhaftigkeit gebietet mir diese Frage, ob es uns gestattet ist, diese Last auf euch zu legen.“
„Es ist für uns keine Last; wir werden ihn wie einen Bruder pflegen. Und wenn die Krankheit, von welcher du sprichst, wirklich käme, so bist ja du gesund und – und –“
Er zögerte, weiter zu sprechen. Wahrscheinlich hatte er einen Gedanken, den ich nicht erraten sollte, wenigstens jetzt noch nicht. Ich vermutete, daß der Satz, wenn er ausgesprochen worden wäre, wahrscheinlich folgendermaßen gelautet hätte:
„Wir haben zwar auf eure beiderseitige Hilfe gerechnet, aber falls Halef krank wird, bist ja du noch da, und auf dich rechnen wir dann ganz bestimmt!“
Ich fand nicht Zeit, hierüber weiter nachzudenken oder den Scheik zu veranlassen, sich vollständiger und deutlicher auszudrücken, denn kaum hatte er diese Pause eintreten lassen, so begann der bisher bewegungslos daliegende Hadschi plötzlich sich zu regen, und zwar in höchst energischer Weise. Er wickelte sich aus seiner Decke heraus, sprang auf, stellte sich vor mich hin und fragte in einem Ton, der auf nichts weniger als auf Kranksein schließen ließ:
„Was hast du da gesagt, Sihdi? Ich habe alles gehört! Denkst du wirklich und im Ernst an die Möglichkeit, daß ich krank sein werde?“
„Ja“, antwortete ich aufrichtig.
„Was für eine Krankheit wird das sein? Welchen Namen gibst du ihr?“
„Ich sehe sie jetzt nur von weitem. Erst wenn sie da ist, kann ich sie erkennen und dir ihren Namen sagen.“
„Also von weitem! O Sihdi, wie enttäuscht du mich! Ich habe dich für klug gehalten, und sehe nun, daß du dies gar nicht bist!“
„Danke, lieber Halef!“
„Bitte! Fasse doch diesen deinen Gedanken an; stelle ihn vor dich hin und schau ihm in das lügnerische Angesicht! Du siehst meine Krankheit jetzt nur von weitem. Sie ist also noch gar nicht da. Muß ich dir denn erlauben, vollends heranzukommen und in meinen Körper einzuziehen, um es sich in demselben wie in einem festlich geschmückten Zelt bequem zu machen?“
„Wenn sie will, wird es geschehen!“
„Will, will, will! Auch ich habe meinen Willen, und was ich will, das pflege ich durchzusetzen. Jede Krankheit ist Schwäche. Auch die, welche du von weitem kommen siehst, kann gar nichts anderem gleichen, als einem alten, schwachen, elenden Weib, welches keinen Zahn mehr im Mund hat. Und ich, der berühmte, tapfere Scheik der Haddedihn, der selbst dem Löwen nie den Rücken zeigte, soll mich vor einem solchen Geschöpf der Schwäche fürchten? Ich sage dir: Ich lasse diese Krankheit nicht heran! Ich weise sie ab! Ich lache sie aus! Du selbst hast mich gelehrt, was ein fester Wille kann, und wie fest und unerschütterlich der meinige ist, das muß ich doch wohl am allerbesten wissen!“
„Halef, bitte, gib mir deine Hand!“
„Warum?“
„Gib sie nur!“
„Wozu? Ist's etwa wegen deines Dass innabd (Puls fühlen)?“
„Ja.“
„Das kann ich selbst!“
Er legte den Daumen der rechten Hand an die Ader oberhalb des linken Handgelenkes, hielt beides an das Ohr, lauschte eine kleine Weile und fuhr dann fort:
„Ich höre nichts, gar nichts;
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