22 - Im Reiche des silbernen Löwen III
größerem Vertrauen gar wohl verstanden hätte.
Es war kein Befehl gegeben worden, das Feuer zu unterhalten. Darum ging es nach und nach aus. Ich tat nichts, dies zu verhindern, denn der Himmel stand voller Sterne, und der Schein, welchen sie herniedersandten, war hell genug für mich, die Gefangenen zu beobachten. Es bewegte sich nur selten einmal einer von ihnen, und dann auch nur, um sich von der einen Seite auf die andere zu wenden. Des Gedankens, sich von den Fesseln zu befreien und zu fliehen, schien keiner fähig zu sein.
Halef schlief. Ja, er schlief wirklich, fest und ruhig. Sein Atem ging regelmäßig. Das machte mir Hoffnung. Vielleicht hatte ich doch zu schwarz gesehen. Manchmal freilich ging ein Schauer über seinen Körper, und dann bewegte er sich, als ob er im Begriff stehe, aufzuwachen. Das konnte aber auch von der nächtlichen Kälte sein, weil, wie bereits erwähnt, in Persien die Wärmeunterschiede zwischen Tag und Nacht ganz bedeutend und viel größer sind als bei uns.
Erst gegen Morgen wachte er auf, und da fror es ihn allerdings so, daß es ihn schüttelte. Es war schon hell, und so sah er, daß ich munter war.
„Du hast auch schon die Augen offen, Sihdi?“ fragte er: „Die Dinarun schlafen noch, obgleich es Zeit zum Morgengebete ist. Ich werde mich also waschen gehen.“
Ich hätte ihn gern gebeten, dies heut nicht zu tun, wußte aber, daß dies vergeblich sein würde. Er stand auf und ging an dem Wasser entlang, bis er hinter einigen Büschen verschwand, um dort seine Morgenandacht zu verrichten. Sein Gang war fest, seine Haltung sicher gewesen. Das beruhigte mich in der Weise, daß ich die Augen schloß, um schnell noch ein Viertelstündchen Schlaf hinwegzunehmen.
Wie gedacht, so geschehen: Ich schlief wirklich sofort ein und wachte nicht eher auf, als bis ich von dem Lärm des Aufbruches geweckt wurde.
Niemand wußte, daß ich die Nacht hindurch gewacht hatte. Darum nahm ich es dem Scheik nicht übel, als er mich scherzweise einen Langschläfer nannte. Der abgeschickte Bote war schon mit den beiden Tachterwahns angekommen. Man hatte das frugale Frühstück eingenommen. Auch ich trank einige Schluck Wasser aus dem Bach und aß ein paar Datteln, wobei ich meinen Halef beobachtete, welcher still auf seiner Decke saß, starr vor sich hinblickte und für niemand, auch nicht einmal für mich ein Auge zu haben schien. War es so schnell anders mit ihm geworden?
„Halef!“ rief ich ihn.
Er antwortete nicht.
„Halef! Hörst du mich?“
Er nickte nur, sagte aber nichts und drehte sich auch nicht nach mir um.
„Ist dir nicht wohl?“ fragte ich.
„Laß mich!“ bat er jetzt mit gedrückter Stimme. „Sprich nicht auf mich!“
„Warum nicht?“
„Ich kann nicht antworten. Ich bin so müde, so unendlich matt!“
Da ging ich hin und beugte mich zu ihm nieder. Er legte den Arm um meinen Hals und sagte:
„Sihdi, mein lieber, lieber Sihdi, wie denkst du über das Sterben?“
„Ich denke, daß wir beide noch recht, recht lange darauf warten werden!“, antwortete ich.
„Meinst du? Mir aber ist, als ob es sofort beginnen solle. So wie mir jetzt ist, muß es einem sein, der sterben soll!“
„Denke nicht daran! Es ist nichts als Müdigkeit.“
„Aber eine so große, wie ich sie noch nie empfunden habe! Wenn ich mich nicht legen soll, so muß ich dich bitten, mich festzuhalten, damit ich nicht umfalle.“
Soeben wurden die gefesselten Gefangenen auf ihre Pferde gebracht. Die beiden Verwundeten wollte man in die Tachterwahns bringen. Da gab ich dem Scheik die Weisung:
„Die zwei Gefangenen kommen miteinander in eine Sänfte!“
„Für wen ist die andere?“ fragte er.
„Für Hadschi Halef.“
„Für den Scheik der Haddedihn?“ gab er verwundert zurück. „Wie kann jemand, der ein solches Pferd besitzt wie er, auf den Gedanken kommen, wie ein Weib in ein Sänfte zu steigen!“
„Er ist krank. Er kann nicht reiten.“
Da nahm Halef seinen Arm von meinem Halse, sprang mit einem schnellen, kräftigen Ruck auf, sah mir mit funkelnden Augen in das Gesicht und rief zornig aus:
„Sihdi, bist du toll? Hast du plötzlich die Gabe deines Verstandes verloren?“
Ein einziger Augenblick hatte genügt, ihn in ein Bild der höchsten Energie zu verwandeln.
„Nein“, antwortete ich. „Ich bin sogar sehr bei allen meinen Sinnen.“
„Das kannst du unmöglich sein, wenn du mir zumutest, nicht zu reiten, sondern mich tragen zu lassen!“
„Es muß sein, lieber Halef.
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