22 - Im Reiche des silbernen Löwen III
begleitet zu haben. Doch ehe wir morgen aufbrechen, muß über diese Diebe hier das Wort des Gerichts ausgesprochen werden. Es hat mich gewundert, dein Herz so mild gegen sie zu sehen, besonders, nachdem du uns gesagt hast, daß sie zu demselben Stamm gehören, an welchem auch ihr euch zu rächen habt.“
Halef sprach diese Bemerkung gewiß ganz absichtslos aus, doch schien es mir, als ob sie dem Scheik nicht recht gelegen komme. Er antwortete nicht. Da hielt ich es denn für nicht unklug, diesen Eindruck durch die direkt an ihn gerichtete Frage zu verstärken:
„Als diese zwölf Männer euch heut begegneten, habt ihr denn nicht mit ihnen gesprochen?“
„Nein“, antwortete er. „Das sagte ich euch doch schon.“
„Warum habt ihr sie denn nicht angehalten?“
„Weshalb hätten wir dies tun sollen? Wir kannten euch noch nicht, hatten also noch keinen Bund mit euch geschlossen und wußten ebensowenig, daß ihr von ihnen beraubt worden wäret.“
„Habt ihr sie denn nicht als Dschamikun erkannt?“
„Nein!“ antwortete er auffällig schnell.
„Sonderbar! Dieser Stamm hat euer jetziges Lager überfallen?“
„Ja.“
„Und hierauf wagten sich zwölf einzelne seiner Leute so nahe an dieses heran? Diese Dschamikun scheinen nicht nur kühne, sondern sogar verwegene Krieger zu sein.“
„Das sind sie allerdings!“
„Und du wünschst eine so gelinde Strafe für sie? Wenigstens als Geisel hättest du sie von uns fordern sollen!“
„Das ist es, was ich noch tun werde. Ihr Schicksal ist ja noch gar nicht entschieden.“
Er sah mich forschend an. Er mochte fühlen, daß ich nicht ohne Mißtrauen sei. Dann fuhr er fort:
„Ich wünsche ja nur deshalb, sie nur leicht von euch bestraft zu sehen, damit sie mir für eine schwere Sühne übrigbleiben. Freigelassen werden sie auf keinen Fall!“
„So können wir befriedigt sein, Sihdi“, meinte Halef, indem er an seinen Platz zurückkehrte, um sich niederzulegen. „Wir haben wieder, was uns fehlte. Mit der Strafe brauchen wir ja nicht zu eilen. Damit hat es auch Zeit, bis wir von dem Zug gegen die Dschamikun zurückkehren. Und da wir ihn, wie ich denke, schon morgen antreten werden, so brauchen wir jetzt Ruhe. Wir wollen also schlafen. Gute Nacht!“
„Gute Nacht!“ sagte auch Nafar Ben Schuri, indem er sich niederlegte.
Vielleicht war es ihm recht lieb, jetzt nicht weitersprechen zu müssen.
Auch ich streckte mich unter meiner Decke aus, doch nur, um zu tun, als ob ich schlafen wolle. Selbst wenn es nicht meine Absicht gewesen wäre, die ganze Nacht wach zu bleiben, hätte ich jetzt doch nicht schlafen können. Sie gaben mir ja beide mehr als genug zu denken, Halef sowohl wie auch der Scheik der Dinarun. Ich schrieb das plötzliche Aufspringen des ersteren und seine eifrige Teilnahme am Gespräch dem Fieber zu. Er hatte, anstatt mich zu beruhigen, meine Sorge um ihn nur vergrößert. Und diese Sorge wurde nicht geringer, wenn ich an Nafar Ben Schuri dachte.
Ich bin von jeher so herzlich gern ein dankbarer Mensch gewesen. Vielleicht ist es einer meiner größten Fehler, das Gute, welches mir erwiesen wird, in der Weise zu vergrößern, daß der, welcher es tat, mich für seinen ewigen Schuldner halten muß.
So zählte ich auch jetzt im stillen alles auf, was wir heut dem Zusammentreffen mit den Dinarun zu verdanken hatten. Ich verkleinerte nichts und suchte, möglichst viel zusammenzufinden; aber trotzdem wollte es mir nicht gelingen, es zu einem klaren, reinen, fest überzeugten Gefühl der Dankbarkeit zu bringen. Warum das nur?
Ich wollte gern lieb und gut über diese Leute denken, aber ich brachte das nicht fertig. Es gab einzelne Beobachtungen, und es gab auch Worte, welche an sich vielleicht ganz unverfänglich waren, aber dadurch, daß ich sie zusammenhielt und miteinander verglich, eine für mich unwillkommene und unerwünschte Bedeutung bekamen. Ja, wir waren am gestrigen Nachtlager beraubt worden und hatten die erlittenen Verluste wieder zurückgewonnen.
Nun hätte ich ruhig sein können. Aber ich war es nicht. Es lag ein Ahnen, ein Fühlen, ein Empfinden in mir, als ob der von uns erlittene Schaden doch noch nicht ersetzt worden sei, oder als ob uns ein anderer, neuer Nachteil getroffen habe, der erst später und viel schwerer auszugleichen ist. Solche innere Stimmen scheinen zunächst undeutlich und unbestimmt zu sprechen, aber dann, wenn ihre Warnung zur Wahrheit wird, ist man gezwungen, einzusehen, daß man sie bei etwas
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