22 - Im Reiche des silbernen Löwen III
kühlen Morgen hinein. Dann später, als die Sonne über den östlichen Bergen erschien, wurde es schnell warm. Wir hatten nicht unsere gestrige Richtung rückwärts eingeschlagen, sondern wir ritten den Weg, auf welchem der Bote die von ihm geholte Hilfe gebracht hatte. Ich achtete aber weniger auf die Gegend als auf Halef, den ich während der ersten Zeit nicht sah, weil er in dem Grund der Sänfte lag. Doch später setzte er sich auf und ließ sein Gesicht erscheinen, um nach mir auszuschauen. Als er mich an seiner Seite sah, nickte er mir lächelnd zu und sagte:
„Sihdi, das alte Weib ist wieder fort. Ich bin so munter, daß ich gern aussteigen und lieber reiten möchte.“
„Ich bitte dich aber, sitzen zu bleiben“, antwortete ich ihm.
„Meinst du, daß sie wiederkommt?“
„Ja.“
„Ich glaube es nicht. Die Schwäche ist heraus!“
„Nein, sie steckt noch drin. Sie wird vielleicht sogar noch größer werden.“
„Du irrst, Sihdi. Ich sehe ja, daß sie heraus ist.“
„Du siehst es? Wieso?“
„Ich habe sie jetzt außen auf der Brust.“
Diese Worte erschreckten mich, obgleich ich so etwas erwartet hatte. Ich verstand ihn gleich; ich wußte, was er meinte. Wenn es sich um Petechien handelte, so hatte ich das Richtige befürchtet: Halef war typhuskrank.
„Hast du Flecken auf der Brust?“ fragte ich.
„Ja, Sihdi.“
„Wie sehen sie aus?“
„Ich war bei Kindern, welche an der Chassba (Masern) litten. Das ist eine Krankheit, welche die Haut zu färben pflegt. Genau von dieser Farbe sind die Flecken, die ich jetzt bei mir bemerke.“
Mit diesen Worten hatte er das Kennzeichen des Petechialtyphus angegeben. Daß gewisse Beobachtungen, welche ich seit gestern an ihm gemacht hatte, nicht genau mit den Symptomen dieser Krankheit übereinstimmten, konnte mich nicht beirren. Jedes Leiden pflegt nebenbei seine individuellen Erscheinungen zu haben. Ich wußte nun, daß es sich möglicherweise um das Leben Halefs handeln konnte, daß die größte Schonung, die sorgfältigste Pflege geboten war und daß ich selbst im günstigen Fall an eine Genesung vor Ablauf eines Monates nicht denken durfte. Was das heißt, wenn man sich dabei in fremder Gegend und unter halbwilden Menschen befindet, kann man sich unschwer denken!
„Du bist so still! Worüber denkst du nach?“ fragte er nach einiger Zeit, in welcher ich nicht gesprochen hatte.
„Ich fragte mich nach dem Lager dieser Dinarun. So gute, geräumige und bequeme Zelte wie unsere Haddedihn werden sie wohl nicht besitzen.“
„Nein, solche nicht, Sihdi! Die gibt es nur bei uns! Aber das erwarte ich gar nicht. Wozu auch Zelte? Wir bleiben doch höchstens nur einige Stunden dort, weil schon heut gegen die Dschamikun aufgebrochen wird.“
„Das halte ich nicht für so bestimmt wie du.“
„Es ist bestimmt. Du weißt ja, daß ich es dem Scheik versprochen habe, und was ich verspreche, das halte ich!“
„Aber ich? Habe ich es auch versprochen?“
„Nein. Doch mein Wort gilt natürlich auch als das deinige, und ich hoffe, daß du mich nicht Lügen strafen läßt!“
Hierauf sah ich ihn nicht mehr. Er hatte sich wieder niedergelegt. Die Schwäche war also doch zurückgekehrt!
Von nun an geschah nichts Erwähnenswertes, als daß einer der Dinarun voranritt, um unsere Ankunft zu melden. Der Scheik befand sich, wie gestern, an der Spitze des Zuges, und da er vermied, zu mir zu kommen, hatte ich noch viel weniger Veranlassung, ihn da vorn aufzusuchen. Ich konnte mich des Gedankens nicht erwehren, daß es vielleicht besser gewesen wäre, wenn wir ihn und seine Leute gar nicht getroffen hätten. Es wäre uns wahrscheinlich auch ohne ihre Hilfe gelungen, wenn auch nicht so schnell und mühelos, unsere Absicht durchzusetzen.
Nach einigen Stunden gab es wieder Büsche. Wir befanden uns also nicht mehr in wasserloser Gegend, wie vom heutigen Aufbruch an, und ich vermutete, daß wir nun nicht mehr fern dem Ziel seien. Diese Mutmaßung bewährte sich als richtig. Ich sah einen Reitertrupp erscheinen, welcher uns entgegenkam, und nun hielt es der Scheik endlich für geboten, sein Pferd so lange anzuhalten, bis wir ihn erreicht hatten. Dann deutete er mit der Hand vorwärts und sagte:
„Sihdi, da nahen Krieger meines Stammes, um euch willkommen zu heißen. Wirst du erlauben, daß sie euch mit dem gebräuchlichen Lab el Barud (Pulverspiel) empfangen? Eine Fantasia, die wir euch als so lieben Gästen schuldig sind, wird abgehalten werden, sobald wir uns
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