22 - Im Reiche des silbernen Löwen III
denn so ein Wunsch würde eine schwere Beleidigung für uns sein!“
„Und doch hast du etwas ähnliches von uns gewünscht, ohne daß es mir eingefallen ist, es dir übelzunehmen!“
„Was?“
„Das Lab el Barud und die Fantasia.“
„Soll ich gezwungen sein, dich, unseren Gastfreund, Lügen zu strafen? Du hast uns beides angeboten; ich habe es nicht verlangt. Das ist der Unterschied. Und durch dieses dein Angebot hast du eigentlich gesagt, daß dein Wort erst noch weiterer Bekräftigung bedarf, bevor man ihm Vertrauen schenken kann.“
„Das habe ich nicht gewollt! Bei Allah! Wenn du mich in dieser Weise verstanden hast, so zwingst du mich jetzt, eine Bitte auszusprechen.“
„Welche?“
„Auf die Fantasia zu verzichten!“
„Das tue ich sehr gern!“
„Sie wird also in Wegfall kommen, damit du nicht ferner annimmst, daß sie als Bestätigung des euch gegebenen Wortes nötig sei. Wir wissen ebensogut wie ihr, was so ein Wort bedeutet!“
Ja, das wußte er wohl ganz gewiß. Aber etwas anderes wußte und fühlte er wohl nicht, nämlich daß das gegebene Wort seine ganze Heiligkeit verliert, wenn es Veranlassung gibt, in einer so peinlichen Weise über seine Bedeutung verhandeln zu müssen!
Wir ritten jetzt eine langsam ansteigende, sonnige Höhe empor, welche dicht mit niedrigen Genistenpflanzen bewachsen war. Tausende von weißen Schmetterlingsblumen sandten uns da ihre köstlichen Düfte zu. Dieser Strauch, welchen die Hebräer Retom nannten, ist identisch mit dem ‚Wacholder‘ des alten Testamentes, welches von dem Propheten Elias erzählt: Er kam in die Wüste von Bersaba und setzte sich unter einen Wacholder und wünschte sich den Tod und sprach: Es genügt mir, Herr. Nimm meine Seele, denn ich bin nicht besser als meine Väter. Und er legte sich nieder und entschlief im Schatten des Wacholderbaumes. Und siehe, ein Engel des Herrn rührte ihn an und sprach: Steh auf, und iß!
Man sah hier und da eine Ziege, welche sich die weichen Spitze der Zweige schmecken ließ, und Kinder, von denen diese Tiere beaufsichtigt wurden. Das war ein Zeichen, daß wir uns dem Lager näherten. Zu den Ziegen gesellten sich fett geschwänzte Schafe mit sonderbar langen, lappigen Hängeohren. Einige magere Rinder kauten seitwärts im harten, scharfen, schilfähnlichen Gras. Dann kamen wir an zerstreut weidenden Eseln und Maultieren vorüber, und endlich sahen wir den Lagerort, nicht oben auf der Höhe, sondern unterhalb derselben sich seitwärts an der Berglehne hinziehend.
Die uns dort erwartenden Dinarun waren benachrichtigt worden, daß die Fantasia zu unterbleiben habe. Dennoch saßen sie alle zu Pferd, weil es für sie eine Schande gewesen wäre, uns zu Fuß zu empfangen. Sie waren so freundlich, wie wir es erwarteten, drückten dies aber mehr durch Gesten und Pantomimen als durch Worte aus. Redselig, wie der Beduine fast immer gegen Gäste ist, zeigten sie sich nicht. Das genierte mich aber nicht. Es gab vielmehr einige andere Beobachtungen, durch welche ich mich enttäuscht fühlte. Doch davon später.
Es mochten gegen zweihundert Männer hier versammelt sein. Ich überflog den ganzen Plan mit schnellem Blick. Zelte gab es nur wenige, und diese waren ärmlich. Das beste von ihnen wurde uns von dem Scheik als das bezeichnet, in welchem wir wohnen sollten.
Die vorhandenen Pferde waren teils mittel-, teils auch minderwertiges Material, und es gab höchstens zehn oder fünfzehn, für welche man etwas mehr als den gewöhnlichen Durchschnittspreis hätte bieten können.
Außer den Zelten gab es nur niedrige Hütten, welche aus Ginsterzweigen errichtet worden waren. Weiber, Kinder, Maultiere und Esel – man verzeihe, daß ich dies zusammen nenne – waren nur so viele da, wie zum Transporte der geringen Habseligkeiten und der mageren Schlachttiere gebraucht wurden.
Noch ehe wir dieses sogenannte ‚Lager‘ erreichten, hatte Halef sich in seinem Tachterwahn wieder aufgerichtet und mir zugerufen:
„Sihdi, mein Herz ist voller Wehmut und meine Seele voller Traurigkeit, daß ich nicht im Sattel sitzen kann. Was werden die stolzen Krieger der Dinarun von mir denken, daß ich meinen Einzug bei ihnen in einer alten Sänfte halte! Sie werden mich nicht für Hadschi Halef, den Scheik der Haddedihn, sondern für die Erzgroßtante aller Urgroßmütter halten. Ich bin wirklich zu schwach, aus diesem Kasten zu steigen. Aber später werde ich ihnen zeigen, daß dies nur ein vorübergehender und von mir
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