220 - Die Reise nach Taraganda
Verletzt schien das Tier nicht zu sein. Doch sein unerklärliches Ableben war so rätselhaft wie das Verschwinden der Bewohner Taragandas. Ein kollektives Ableben war eigentlich immer ein Hinweis auf eine von Menschen gemachte Katastrophe.
Dass die Zilverbaks die Sicherheit ihres Zuhauses gegen den Urwald eintauschten, bedeutete vielleicht, dass sie eine hier herrschende Situation – die den Papageien schon den Tod gebracht hatte –, für gefährlicher hielten.
Rulfan beugte sich über den Vogel. Wo blieb eigentlich die Urwaldpolizei in Gestalt von Käfern und Maden, um den Kadaver zu zerlegen? Der Papagei roch nicht mal aasig. Rulfan hatte nicht den Eindruck, dass er von Gruhgift infiziert war.
Er hatte den Vogel kaum berührt, als der aus seiner Starre erwachte und erschreckt piepsend die Schwingen ausbreitete.
Rulfan schrie ebenfalls auf – so laut, dass Lay und Zarr, die Speere im Vorhalt, aus der Hütte stürzten und sich aufgeregt nach Feinden umsahen.
Rulfans Schrei erschreckte den Papagei noch mehr: Er machte flatternd einen Satz, schwang sich mit Gekreisch in die Luft, krallte sich an eine Palme und krakeelte seine Empörung so laut und schrill heraus, dass auch alle anderen Vögel zu sich kamen und benommen das Weite suchten.
***
Zanda, Tansania, Februar 2011
Der schwarze Gentleman, den Jussuf hatte anspringen wollen, war ein hoher Beamter des tansanischen Secret Service. Er unterstand dem neuen Diktator, dessen Namen Ostwald sich nicht merken wollte, weil es ihn ohnehin in einem Jahr nicht mehr geben würde: Vor einem Monat hatte die Partei der Einzigen Wahren Diener Allahs nämlich verkündet, sie werde sein gottloses Regime vom Antlitz der Erde fegen. Gleich nach Eingang der ausstehenden Drogenmillionen ihrer Glaubensbrüder in Afghanistan wollte man dem im Sold der amerikanischen Teufel stehenden Speichellecker Mores lehren: Dass sein Kopf bald auf einem Spieß zur Schau gestellt werden würde, war längst beschlossen.
Dies und ähnliche Dinge zu verhindern war die Aufgabe der beiden Gentlemen. Andererseits, hörte Ostwald zufällig mit, als er in der Badewanne zwischen seinem und Farahs Zimmer saß, waren sie aber auch hier, um sich zu vergnügen.
»Es tut mir furchtbar leid, dass ich sie mitbringen musste, Farah«, hörte er Rajid Ben Hadibi sagen. »Natürlich ist die Familie für mich das Wichtigste. Aber du musst auch anerkennen, dass euer aufwändiger Lebensstil viel Geld kostet.« Er räusperte sich. »Ja, ich weiß, du gibst nicht mal ein Zehntel von dem aus, was dieser aufbrausende kleine Arsch uns kostet. Du glaubst ja nicht, wie viele Polizisten und Richter meine Anwälte jedes Jahr bestechen müssen, um zu verhindern, dass er das kriegt, was ihm gebührt. Jussufs Gereiztheit und sein Größenwahn schaden meinen Geschäften. Heute wollte er allen Ernstes dem tansanischen Geheimdienstchef an den Kragen. Zum Glück konnte ich das verhindern.«
»Du glaubst, er hat uns nicht geschadet?«
»Für diesmal: nein. Aber ich wette, dass er Jussufs Ausraster nicht vergisst. Wenn er ihn das nächste Mal unter günstigeren Bedingungen trifft, macht er Kleinholz aus ihm. Aber genug davon, Schwesterchen. Ich muss den beiden Herren jetzt ein wenig um den Bart gehen.«
»Was dreht ihr eigentlich gerade für ein Ding?«, fragte Farah.
Ostwald in der Badewanne reckte den Hals in Richtung Tür und spitzte die Ohren.
»Ach, nichts Besonderes«, erwiderte Rajid. »Ich entwickle für den Secret Service eine biologische Waffe, mit der man bestimmte Gebiete schnell und lautlos von Raubtieren und Menschenaffen säubern kann. So was muss nämlich in einer Nacht über die Bühne gehen, damit die Tierschutz-Spinner nicht schon im Vorfeld mit ihrem Gewinsel anfangen.«
»Um was für ein Gebiet geht es denn?« Farah klang neugierig.
»Ach, irgendein Fleckchen Erde im Urwald. Der Diktator will dort eine Satellitenstadt wie Brasilia oder Sun City aus dem Boden stampfen. Um die Besserverdienenden nach Tansania zu locken. – So, jetzt muss ich aber los.« Ein Schmatzen von Lippen auf einer Stirn beendete das Gespräch.
***
Das Fest sollte in einem Tempel stattfinden, den man – um vor den Sonnenstrahlen geschützt zu sein – über einen überdachten Weg erreichte. Als Ostwald in einem Pulk anderer Gäste dorthin unterwegs war, hatte er Gelegenheit, sich die geheimnisvolle Stadt aus der Nähe anzusehen. Außer dem Pueblo, auf dem sie gelandet waren, so erzählte ein Vetter, der sie zum Tempel geleitete,
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