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220 - Die Reise nach Taraganda

220 - Die Reise nach Taraganda

Titel: 220 - Die Reise nach Taraganda Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ronald M. Hahn
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bestand Zanda aus neun vergleichbaren Komplexen. Nicht alle waren restauriert worden, doch alle verfügten über neue Fensterläden und Türen und waren von außen so verschönt worden, dass sie wie bewohnt wirkten. Eine französische Baronesse erzählte Ostwald, dass sie oft hierher käme: Ihr Vater, ein Rüstungsindustrieller, machte Geschäfte mit den Hadibis.
    Im Inneren des von zahlreichen Wandreliefs geschmückten Tempels erspähte Ostwald auch einige Prominente: einen längst in Rente gegangenen deutschen Terroristen, einen bekannten österreichischen Politiker, einen gesuchten albanischen Auftragskiller und einen englischen Autor, der sich angeregt mit einem abgehalfterten afghanischen Mullah unterhielt, der finster in einer Ecke saß.
    Dass der Mullah überhaupt eingeladen worden war, verwunderte Ostwald, da die Hadibis es doch gar nicht mit der Religion hatten. Außerdem stand der bärtige Prediger auf der Liste der zehn meistgesuchten Personen des FBI. Wie er in einer Atempause von Farah erfuhr, die mit aller Welt ein Schwätzchen halten musste und sich demgemäß am wenigsten vergnügte, war der Mullah der Schwippschwager einer Base vierten Grades und durfte hier sein Gnadenbrot verzehren und Predigten schreiben, die Rajids Leute jedoch nicht an die Moscheen der Welt verteilten, sondern gleich den Flammen übergaben.
    Das geheime Reich, in dem die Hadibis ihren Geschäften nachgingen, interessierte Ostwald sehr. Er konnte sich auch vorstellen, dass es manchen Menschen viel Geld wert war, von Zanda zu erfahren: Medien-Mogule, Geheimdienste, die Mafia und auch Gotteskrieger, die es nicht schätzten, wenn einem Moslem weltliche Genüsse wichtiger waren als Frömmigkeit und tägliche Gebete. Es gab sicher auch Kriminelle, die für die Koordinaten einer abgelegenen Insel der Reichen ein ansehnliches Informationshonorar springen ließen.
    »Was gibt’s da zu grinsen?«
    Jussuf! Ostwald riss sich zusammen, um seinen Schreck nicht zu zeigen. Rasch, eine Erklärung! »Ach, ich hab nur jemanden unter den Gästen gesehen, mit dem ich nicht gerechnet habe.«
    »Wen meinen Sie?« Jussuf schaute sich neugierig um. Seine Augen flackerten. Es sah nicht so aus, als hätte er sich von den Hieben seines Bruders gut erholt. Ganz im Gegenteil: Offenbar hatte er die Demütigung nur verkraften können, indem er sich bis zum Kragen mit irgendwas abgefüllt hatte. Ostwald fragte sich, ob der junge Mann in seinem Zustand überhaupt zurechnungsfähig war.
    »Ich sag’s lieber nicht.« Er täuschte ein Grinsen vor. »Ich möchte dem Herrn nicht schaden.«
    Jussufs Blick wanderte geistesabwesend über die Gäste im Saal. Es waren ungefähr fünfzig Personen.
    Ein schwarzer Lakai, der mit seiner weißen Perücke wie ein britischer Richter aussah, kam mit einem Tablett vorbei. Ostwald nahm sich ein Glas Orangensaft.
    Jussuf tat sich am Champagner gütlich. »Wer sind Sie überhaupt?«, fragte er plötzlich, ohne Ostwald anzusehen. »Ficken Sie meine Schwester?«
    Ostwald hätte jeden normalen Menschen nach einer solchen Frage verbal abgewatscht. Leider war Jussuf nicht normal. Er war auch nicht kritikfähig. Nach dem, was er am Nachmittag im Salon angerichtet hatte, war er eher eine Art Handgranate, die sich aus dem geringsten Anlass selbst zünden konnte.
    Deswegen sagte Ostwald nur »Nein« und durchquerte den Saal. Ihm war jede Gesellschaft recht; Hauptsache, sie hieß nicht Jussuf Ben Hadibi.
    Die Baronesse, zu der Ostwald sich setzen wollte, war mit dem deutschen Terroristen-Rentner in ein heiteres Gespräch vertieft. Gemurmel und Gekicher erfüllten den Saal. In einer Nische ließ ein altertümlich kostümiertes Sextett dezente orientalische Musik erklingen. Lakaien wieselten umher und kümmerten sich um die Gäste ihrer Herrschaft. Alte Freunde, die zu unterschiedlichen Zeiten eingetroffen waren, begrüßten sich mit Küsschen. Ostwald bewunderte Wandreliefs und goldene Statuen, die auf marmornen Podesten im Raum verteilt waren.
    Er hatte erneut das Gefühl, dass es sich irgendwann für ihn auszahlen würde, wenn er die Koordinaten seines Aufenthaltsortes kannte. Er musste jemanden anrufen…
    Niemand bemerkte ihn, als er durch eine Seitentür in einen Korridor huschte. Der Gang wurde von Kerzen erhellt und führte an mehreren Türen vorbei. Am seinem Ende kam Ostwald an eine Treppe. Über sie gelangte er aufs Dach eines niedrigeren Pueblo-Teils. Er lief über grünen Boden, huschte in den Schatten eines Topfpalmenhains,

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