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220 - Die Reise nach Taraganda

220 - Die Reise nach Taraganda

Titel: 220 - Die Reise nach Taraganda Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ronald M. Hahn
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genug wieder einholen.
    Ein kranker Piepmatz hat Kamikaze begangen, schloss er den Gedanken ab. Kein Grund, sich Sorgen zu machen.
    ***
    Taraganda, Juni 2524
    Zwei Stunden nach Mittag. Als Rulfan den Kamm des von hohem Gras bewachsenen Hügels erreichte, fiel sein Blick auf Lays und Zarrs Zuhause. In einer Nacht, in dem das Einschlafen ihm schwer gefallen war, hatte er sich ausgemalt, dass sie an einem exotischen Ort wohnten – in einem Baumhausdorf, dessen Hütten man über schwankende Hängebrücken erreichte und in dem die Kinder beider Rassen sich wie kleine Tarzans an Lianen von einer Terrassenplattform zur nächsten schwangen.
    Dass Taraganda wie ein Fort aus dem amerikanischen Westen aussah, hätte er sich nicht träumen lassen: Angespitzte Palisaden ragten auf einer sandigen Lichtung auf. Wachtürme flankierten ein offenes Tor. Rulfan reckte den Hals und erspähte etwa zwei Dutzend von geländerlosen Veranden umgebene Pfahlbauten.
    Doch irgendetwas stimmte nicht in diesem Ort: Auf den Türmen war kein Posten zu sehen. Niemand lief hinaus, um sie zu begrüßen. Man hörte kein Kindergeschrei. Man sah kein Haustier. Taraganda lag wie ausgestorben da.
    Lay und Zarr fauchten sich Worte zu, die Rulfan nicht verstand. Ihre Bedeutung war ihm jedoch klar: Die beiden waren aufgeregt, vielleicht sogar ängstlich.
    Als er einen Schritt nach vorn machen wollte, packte Lay seine Hand. »Nicht, Rulfan; nicht gehen.« Sie zog an ihm. »Runter. Auf Boden. Runter.« Sie und Rulfan, dann auch Zarr, gingen in die Knie. Erneut flogen aufgeregte Worte hin und her.
    Zarr deutete auf die Sonne. »Essenszeit! Kein Feuer!« Er klang vorwurfsvoll. »Keine Wache am Tor.«
    »Kein Lachen.« Lay schaute finster drein.
    »Wo sind die alle?«, fragte Rulfan. Mittag war noch nicht lange vorbei. Sein Magen knurrte. Er hätte sich sogar über eine Schale Grießbrei gefreut. »Was ist hier passiert?«
    »Nicht wissen.« Zarr zuckte die Achseln. »Gehe hin. Schaue nach.«
    »Nicht, Zarr.« Lay hielt den riesigen Gorilla an seinem schwarzen Fell fest. »Vielleicht…« Sie biss sich auf die Unterlippe.
    »Glaubst du, es hat einen Kampf gegeben?« Rulfan konnte jedoch aus der Ferne nichts erkennen, was darauf hingewiesen hätte. Hatten die Zilverbaks Feinde? Wenn ja, mussten es welche sein, die nichts kaputtmachten und die Leichen ihrer Gegner ordentlich entsorgten.
    Zarr schlug sich seitwärts in die Büsche und lief geduckt zu einem Urwaldriesen, etwa hundert Meter von ihrem Standort entfernt. Er kletterte wieselflink hinauf, bis auf eine Höhe, aus der man Einblick in das Fort nehmen konnte.
    Rulfan sah ihn eine Weile konzentriert spähen. Dann kam er zurück.
    »Niemand da.« Zarr runzelte fast menschlich die Stirn.
    »Nicht gut«, sagte Lay. »Nicht gu-u-ut!«
    »Gehen rein«, sagte Zarr. »Kommt!« Er eilte durch das Gras den Hügel hinab und überquerte die Lichtung.
    Lay und Rulfan schlossen sich ihm an.
    Das Fort war so aufgeräumt wie ein Fort der Preußen. Pfahlbauten standen um einen Teich herum. Nun kam leichter Wind auf. Irgendwo schlug ein Fensterladen gegen einen Rahmen. Der Wind bewegte die Basttür einer Hütte.
    Rulfan ging eine Art Hühnerleiter hinauf und schaute in ein Haus. Er sah Hängematten und die üblichen Gegenstände, die man in Behausungen einfach strukturierter Lebewesen erwarten kann: geflochtene Matten, gefleckte Großkatzenfelle an den Wänden, einfache Bambusmöbel, irdene Behälter, geschnitztes Geschirr.
    Als er Lay und Zarr in die Küchenhütte folgte, war das Feuer dort erloschen. In einem Kessel fand sich angebrannter Hirsebrei. Die Asche war noch warm. Auf dem Boden, zwischen den Sitzmatten, lagen Holznäpfe herum.
    Lay und Zarr schauten sich an. Ihre Mienen waren finster. Ahnten sie vielleicht, was hier passiert war?
    Rulfan ging hinaus, schlenderte über die Terrasse rund ums Haus und schaute sich um.
    Hinter der zweiten Ecke, die er umrundete, lagen zwischen dem Gebäude und dem friedlich in der Sonne ruhenden Teich fünf leblose Papageien im Sand. Einer hätte Rulfan nicht misstrauisch gemacht, aber fünf?
    Er sprang von der Veranda, um sie zu begutachten. Als er sie erreichte, entdeckte er zehn Meter weiter noch mehr leblose Vögel. Was war hier los? Na schön: Auch Vögel starben irgendwann. Manchmal ereilte der Tod sie sogar im Flug – aber dass Papageien kollektiv ins Gras bissen, war ihm neu. Hatte eine Krankheit sie niedergestreckt?
    Rulfan kniete sich vor dem ersten Vogel in den Sand.

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