2218 - Die Epha-Matrix
Licht einfach überlisteten, glaubte sie Asprias Behauptung. Die Astronomin hatte ihr die Sache zu veranschaulichen versucht. „Das Licht ist so schnell, dass einem schwindelig werden könnte. Wenn du ein Bild von dir mit Lichtgeschwindigkeit um den Planeten schicken könntest, würdest du dich innerhalb dieses Atemzuges in achtfacher Ausführung sehen können." Dieses Beispiel hatte der kleinen Aicha nicht geholfen. Es hatte sie nur verwirrt und verängstigt. Sie wollte nicht, dass es sie in „achtfacher Ausführung" gab. Sie war unverwechselbar und einmalig wie jede Motana. Die neue Schicht war gerade erst angelaufen, als ihr ein Zuukim-Führer die Nachricht überbrachte, dass die Vorsteherin Ghoda im Sterben lag und Aicha noch einmal zu sehen wünschte. Ghoda war die wichtigste Kontaktperson zu den Kybb-Cranar und genoss darum einen Sonderstatus. Sie wurde von allen Vorsteherinnen als Oberhaupt anerkannt. Aicha machte sich sofort auf den Weg und fand eine Greisin in den letzten Atemzügen vor, die nur noch aus Haut und Knochen zu bestehen schien. Dabei war Ghoda nicht viel älter als sie selbst. In der Freiheit hätten die beiden Motana als junge Frauen gegolten. Aicha spürte den unsteten Blick aus tief in den Höhlen liegenden Augen auf sich ruhen. Eine knöcherne Hand ergriff die ihre, und die gebrochene Stimme aus Ghodas lippenlosem Mund sagte: „Aicha ... du trägst die Kraft in dir ... mit der du selbst mich ins Leben zurückholen könntest ..." Ghoda ließ Aichas Hand abrupt los, als hätte sie sich verbrannt. Ghoda fuhr mit leiser, brüchiger Stimme fort: „Aber meine Zeit ist gekommen ... Ich möchte, dass du meine Nachfolge antrittst."
„Ich ... ich weiß nicht, ob ich dieser Verantwortung gewachsen bin", stotterte Aicha. Das hatte sie nicht erwartet. Sie fühlte sich zu jung und unerfahren. Ghoda winkte ab. „Es gehört nicht viel dazu, mit den Kybb-Cranar zu verhandeln. Man hat sowieso keinen Einfluss. Man hat nur zu gehorchen ..." Mit diesen Worten starb die Greisin, die Aichas Schwester hätte sein können. Soroa, die Vorsteherin, die Ghodas Vertrauen genossen hatte, unterwies Aicha in ihrer Aufgabe. Es gab nicht viel zu lernen. Aichas neue Verantwortung bestand vornehmlich darin, darauf zu warten, dass die Kybb-Cranar sich meldeten. Das geschah selten genug. „Ich muss mich um meinen Bruder kümmern", sagte Aicha. Soroas Blick zeigte, dass sie dafür kein Verständnis hatte. „Dafür hast du alle Zeit der Welt. Du musst nur anwesend sein, wenn sich ein Kybb-Cranar meldet. Was nicht oft passiert. In der Regel dann, wenn Raphid-Kybb-Karter eine seiner Reden zu halten gedenkt."
Aicha nickte nur. „Da ist noch etwas aus jüngster Zeit, was du wissen solltest", fuhr Soroa fort. „Bald nach der Flucht der beiden Fremden und Jadyel sind zwei Kybb-Cranar in die Minen herabgestiegen. Das hat uns ein Veronis gemeldet. Sie waren bis an die Zähne bewaffnet und trugen Kameras auf ihren Helmen. Ich nehme an, sie sollten die Flüchtlinge jagen. Sie gerieten immer tiefer in den Berg - und damit in den Wahnsinn. Die Vorsteherin Vojila und ich beobachteten sie, wie sie in ihrem Wahn sich gegenseitig bekämpften, während sie glaubten, auf Monster zu schießen. Vermutlich sahen sie sich gegenseitig als solche, was einer gewissen Ironie nicht entbehrt. Es war ein gespenstischer Anblick. Schließlich brachten sie sich gegenseitig um. Den Rest besorgten die Veronis. Ihre Ausrüstung und was von ihnen übrig blieb, haben wir in einen toten Schacht geworfen."
„Warum erzählst du mir das?"
„Weil du als Obervorsteherin über alles informiert sein solltest", antwortete Soroa. „Schließlich passiert es nicht oft, dass wir Besuch von Kybb-Cranar bekommen. Sie scheuen den Heiligen Berg zu Recht.
Denn hier wartet der Wahnsinn auf sie." Aicha hatte nur noch eine Frage. „Warum hat Ghoda nicht dich als ihre Nachfolgerin bestellt?
Du bist länger als ich in den Minen."
„Eben aus diesem Grund", war die Antwort. „Ich werde früher sterben als du." Aicha fühlte sich nicht wohl in ihrer neuen Rolle als Obervorsteherin. Die Verantwortung, den Kybb-Cranar jederzeit zur Verfügung stehen zu müssen, belastete sie schwer. Denn Aicha wusste, dass die Motana im Heiligen Berg furchtbar darunter zu leiden hätten, wenn sie ihre Pflichten vernachlässigte. Den ganzen Tag wagte sie es nicht, die kahle Kammer mit dem Bildschirm zu verlassen.
Sie ertappte sich dabei, wie sie den schwarzen Schirm immer wieder
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