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2218 - Die Epha-Matrix

Titel: 2218 - Die Epha-Matrix Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannt
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Kräfte machte ihr Angst. Nur Gorlin schien aus einer geheimnisvollen Quelle Kraft zu beziehen. Das sprang aber nicht auf sie über. Sie konnte nicht von seinem Kraftfluss zehren. Früher war das einmal anders gewesen. So weit sie zurückdenken konnte, war sie immer mit Gorlin zusammen gewesen. Sie hatten sich nie weiter als einen halben Tagesmarsch voneinander entfernt. Bis zu dieser Distanz bestand ein unsichtbares Band zwischen ihnen, das sie zusammenkettete. Einer konnte nicht ohne den anderen sein. Sie waren miteinander verschmolzen. Die Freuden des einen sprangen auf den anderen über, ebenso aber spürte der eine den Schmerz des anderen. Sie trug - zusammen mit weiteren persönlichen Habseligkeiten - immer einen Stein bei sich, den ihr Gorlin als Kind geschenkt hatte. Er behauptete damals, der Stein sei vom Himmel gefallen und sei Teil eines nahen Sterns. Aicha hatte Gorlin ihrerseits eine Locke ihres schwarzen Haares geschenkt. Sie hatte später beobachtet, wie er im Schlaf damit spielte, wie er sie sich immer wieder um den Finger wickelte, als wolle er sich an sie fesseln. Im Heiligen Berg waren diese Bande nicht mehr so stark. Aicha glaubte zu spüren, dass sie sich einander allmählich entfremdeten. Aber noch bestand die unsichtbare Verbindung zwischen den Zwillingen. Es war während der vierten Schicht nach Atlans Verschwinden, dass Aicha von heftigen Krämpfen geschüttelt wurde. Sie wusste sofort, dass ihrem Bruder Gorlin etwas widerfahren war. Die Bande zwischen ihnen waren auf einmal wieder stark. Sie spürte, wie Gorlin litt. Sie rannte wie blind los und kam an eine Unglücksstelle. „Was ist passiert?", rief sie außer sich. „Wo ist Gorlin?"
    „Quarein, ein junger Motana, der erst vor zehn Schichten in den Heiligen Berg gekommen war, deutete auf das große Loch vor ihm, aus dem eine Staubwolke aufstieg. Aicha befahl den umstehenden Motana, ihr zu folgen, und stieg in das Loch hinab. Sie mussten nicht lange graben, bis sie auf die Verschütteten stießen. Zwei Motana konnten sie nur noch tot bergen; Gorlin und fünf weitere schwer verletzt. Sie trugen die Überlebenden in den Schlafsaal; die beiden Toten brachten sie in Nischen unter, damit die Veronis sie sich holen konnten, falls ihnen danach war. Aicha begab sich an Gorlins Lager und ließ ihre Finger mit geschlossenen Augen über seinen Körper wandern. Seine Glieder waren nicht gebrochen, obwohl Arme und Beine blutige Abschürfungen aufwiesen. Als sie seine Brust abtastete, zuckte er zusammen, und sie spürte auf ihren Fingerspitzen ein Brennen. Hier irgendwo musste der Herd seiner inneren Verletzungen liegen. Dazu hatte Gorlin am Hinterkopf eine Wunde, und sein Haar war von getrocknetem Blut verfilzt. Er wimmerte, als sie ihn dort berührte. Aber Aicha ließ ihre Hände so lange darauf ruhen, bis er eingeschlafen war und ruhig atmete. Sie hoffte, dass Gorlin keine bleibenden Schäden davontragen würde. Aber sie bangte um sein Leben. An einen Einsatz im Bergwerk war natürlich nicht zu denken. Von den fünf anderen Verwundeten würden zwei diesen Tag nicht überleben. Sie musste verhindern, dass auch Gorlin den Weg in die ewige Nacht ging. Sie wollte nichts unversucht lassen, ihn zu retten. Sie schreckte selbst davor nicht zurück, sich der Macht der Verfemten Gesänge zu bedienen. Sie wollte alle Möglichkeiten nutzen, um Gorlin nicht zu verlieren. Denn ohne ihn war ihr Leben nichts wert. Sie wäre nur noch die Hälfte eines Ganzen. Aicha stimmte den Choral an die Macht der Liebe an. Es benötigte nur eine kurze Anlaufzeit, bis sich ihr weitere Stimmen anschlössen. Schließlich beteiligte sich der gesamte Schlafsaal an diesem Gesang und ließ einen mächtigen Choral aufbranden. Aicha spürte beim Singen, wie etwas in ihr sich regte. Es war eine verborgene Kraft, die gelegentlich erwacht und aus den Tiefen ihres Ichs zutage getreten war. Zuletzt war das geschehen während sie sich dem Choral an den Schutzherrn hingegeben hatte. Damals war sie nahe daran gewesen, eine Schwelle zu überschreiten und in die Verfemten Gesänge zu verfallen - wenn nicht irgendwer ihr Einhalt geboten hätte. Diesmal war sie entschlossen, sich durch nichts daran hindern zu lassen, ihre inneren Kräfte zu wecken und bis zum Äußersten zu gehen. Sie hatte schon seit früher Kindheit gespürt, dass etwas Geheimnisvolles in ihr schlummerte. Das war schon ihrer Mutter nicht entgangen, und diese hatte sie immer wieder ermahnt, sich im Choral nicht gehen zu lassen.

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