2218 - Die Epha-Matrix
ausweichend.
Gorlin schüttelte ungläubig den Kopf. „Warum sollten uns die Kybb-Cranar plötzlich etwas Gutes tun wollen?
Nachdem sie uns bis jetzt so geknechtet haben!"
„Was auch hinter Karters Versprechungen steckt", sagte Aicha, „es muss etwas zum Vorteil der Kybb-Cranar sein." Gorlin stimmte ihr zu. Er musste anhalten. „Du musst mir später berichten, Schwester, was euch erwartet hat", sagte Gorlin kraftlos. Doch das wollte Aicha nicht akzeptieren. Sie bat einen jungen, kräftigen Motana, ihr behilflich zu sein, Gorlin zu tragen. Ohne ein Wort zu verlieren, lud sich der Motana Gorlin auf den Rücken und schritt trotz dieser Last so forsch aus wie zuvor. Er konnte noch nicht lange in den Minen sein. Aicha wollte den Motana über das Schicksal, das ihn hierher verschlagen hatte, befragen, aber er verschwand mit Gorlin in der wogenden Menge vor ihr. Sie hörte nur noch, wie er ihrem Bruder seinen Namen sagte: Aaraxon. Aicha blieb bei den schwächeren Motana zurück. Sie unterstützte sie, so gut sie konnte. Der Marsch zog sich dahin. Stunde um Stunde verging, ohne dass sich ihnen auch nur ein Schimmer Tageslicht zeigte. Ein steter Luftzug nährte die Hoffnung, dass das Ende des Tunnels nahe war. Sie dachte bei jeder Kurve, dass dahinter Tageslicht zu sehen sein müsse. Doch das erwies sich jedes Mal als Trugschluss. Nach einer halben Stunde traf sie auf Gorlin, der sich, sich an der Tunnelwand stützend, mühsam vorwärts schleppte. Aicha ging zu ihm. „Wieso hat Aaraxon dich im Stich gelassen?", erkundigte sie sich. Gorlin atmete schwer. Er bekam kaum mehr Luft zum Sprechen und deutete nur ungewiss nach vorne. Aicha verstand nicht sofort, aber als sie in die gewiesene Richtung blickte, glaubte sie zu erkennen, dass die Wände ganz vorne an einer Tunnelkrümmung in hellerem rötlichem Licht schimmerten. „Ist das der Ausgang?", fragte sie. Gorlin nickte. „Aaraxon wollte ... so schnell wie möglich zu ... seiner gefangenen ... Familie", brachte Gorlin mühsam hervor. Er pfiff mehr, als er sprach. Aicha konnte Aaraxon verstehen, sie hätte nicht anders gehandelt. Sie schleppte sich mit Gorlin das letzte Stück mühsam weiter; er lastete schwer wie ein Fels auf ihr. Nach langer Zeit erreichten sie das Ende des Tunnels. Sie gelangten bei Sonnenuntergang ins Freie. Aicha konnte sich nicht erinnern, je ein schöneres Abendrot erlebt zu haben. Über den Horizont zogen Bänke von Wolken, die ein kräftiger Wind zerzaust hatte. Die Wolkenfetzen, und -schlieren waren von der untergehenden Sonne in allen Nuancen von kräftigem Rot eingefärbt. Der Wind wehte um den Berg und spielte in ihrem Haar. Die würzige Luft, die er mit sich brachte, betäubte Aicha beinahe. Über dem Streifen des kräftig getönten Horizonts meldeten die ersten aufblinkenden Sterne ihr Kommen an. Aber keiner der beiden Monde war zu sehen. Das war Baikhal Cain von seiner schönsten Seite. Aicha hatte fast schon vergessen, was die Natur ihrer Welt an Erbaulichem zu bieten hatte. Sie genoss die Eindrücke wie eine gänzlich neue Erfahrung. Dann glitt ihr Blick tiefer, zum Fuß des Heiligen Berges, wo die Dämmerung vom Land Beisitz ergriffen hatte. Es war wie ein Schock. Unter ihr breitete sich eine Zeltstadt aus, die sich bis nahe zum Wald erstreckte und durch vereinzelte Baracken unterbrochen wurde. Überall erstreckten sich hohe Zäune, die dieses gewaltige Lager unterteilten und begrenzten. Dazwischen bewegten sich winzig anmutende Motana. Aber sie sah auch viele Kybb-Cranar, die durch Zäune von den Motana getrennt waren. „So also sieht die Freiheit aus, die uns Karter versprochen hat", sagte Aicha verbittert. „Ein Internierungslager."
„Was hast du dir erwartet, Schwester?", meinte Gorlin. Er machte große Augen und sah nur die Schönheit des Landes. „Karter hat gar nichts versprochen. Er hat nur gesagt, dass er uns aus dem Heiligen Berg holt." Sie wurden von den nachdrängenden Motana vorwärts gedrängt. Jetzt erst, im Weitergehen, sah Aicha, dass Zäune links und rechts ihren Weg vorgaben. Dahinter standen in Abständen Kybb-Cranar, die sie mit Zurufen vorantrieben und manchmal auch Lanzen einsetzten, die elektrische Schläge verteilten. Aicha musste Gorlin nicht mehr stützen. Er hatte ihren Arm abgewehrt und stolperte aus eigener Kraft weiter. Es war, als hätte die frische Luft seine Lebensgeister erweckt und ihm neue Kräfte verliehen. Nach einiger Zeit verzweigte sich der Weg in mehrere mit Zäunen abgesicherte Bahnen.
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