2218 - Die Epha-Matrix
aber diesen Gedanken teilte sie dem Bruder nicht mit. Als Gorlin müde wurde, brachte sie ihn ins Zelt zurück. Er schlief ein, kaum dass er sich auf dem Lager ausgestreckt hatte. Sie war froh, dass er sich ausruhen konnte. Sie dagegen konnte immer noch keinen Schlaf finden. Würde das so weitergehen, bis sie vor Erschöpfung stehend starb?
Plötzlich breitete sich im Lager Unruhe aus. Einander widersprechende Gerüchte jagten einander. Fest stand nur, dass die Kybb-Cranar etwas mit ihnen vorhatten, denn eine Lautsprecherstimme verkündete: „Haltet euch bereit!
Verlasst nicht eure Unterkünfte. Ihr werdet nacheinander untersucht. Wer ins Freie tritt, wird erschossen." Damit begann ein banges Warten für Aicha, denn sie fürchtete, dass Gorlin noch nicht so weit genesen war, um bei einer Auslese durch die Kybb-Cranar zu bestehen. Endlich war die Reihe an ihrem Zelt. Alle hundert Insassen wurden aufgefordert, ins Freie zu treten. Draußen stießen die Bewohner eines weiteren Zelts und einer Baracke zu ihnen, so dass sich ihre Zahl auf etwa dreihundert erhöhte. Sie wurden von zwanzig Kybb-Cranar mit ausgefahrenen Waffen bewacht. Die kleinen, finsteren Augen der Igelwesen wirkten nervös. Ihre Rückenstacheln waren steil aufgerichtet, was höchste Kampfbereitschaft ausdrückte. „Was ist in die Kybbs gefahren?", murmelte eine ältere, aber noch rüstig wirkende Motana hinter Aicha. „Die werden uns doch nicht auf einmal fürchten." Davon kann wohl keine Rede sein, dachte Aicha bei sich. Aber ihr entging nicht, dass sich das Verhalten der Stacheligen ihnen gegenüber verändert hatte. Sie behandelten sie nicht mehr wie eine willenlose Viehherde. „In Fünferreihen Aufstellung nehmen!", kommandierte der Kybb-Cranar an der Spitze, und seine Leute unterstrichen seinen Befehl mit knallenden Peitschen. „Marsch, vorwärts!", bellte der Anführer der Kybb-Cranar, und der Zug der Motana setzte sich in Bewegung. Aicha betrachtete ihren Bruder verstohlen von der Seite. Er hielt sich tapfer aufrecht, aber er war blass und zitterte. Er hat Fieber, dachte sie. Gorlin merkte, dass sie ihn beobachtete. „Mir geht es besser denn je", schnauzte er sie an; auf seiner Stirn hatten sich Schweißperlen gebildet. „Ich stehe das durch." Sie kamen zu einem lang gestreckten Gebäude, und der Anführer der Kybb-Cranar gebot Halt. Auf der Stirnseite befanden sich fünf Eingänge, über denen rote Lampen leuchteten. Aicha erinnerte sich, dass in dem Plan, den man ihr ausgehändigt hatte, ein solches lang gestrecktes Objekt eingezeichnet war und als „Teststation" bezeichnet wurde. „Zieht euch aus und bündelt eure Kleider!", befahl der Kybb-Cranar. „Wenn alles vorbei ist, könnt ihr eure Kleidung wieder holen." Aicha entledigte sich ihrer ledernen Weste und der ebenfalls ledernen Kniehose, in deren linker Tasche sie den Stein trug, den ihr ihr Bruder als Kind geschenkt hatte. Sie überlegte kurz, den Talisman mitzunehmen, entschied sich aber dagegen. „Wenn die Ampeln über den Türen auf Grün springen, tretet ihr ein", verkündete der Wort führende Kybb-Cranar. „Und das setzt ihr fort, bis alle an die Reihe gekommen sind." Die grünen Lampen über den fünf Türen leuchten auf, und die erste Reihe der Motana verschwand durch die Türen ins Innere der Station. Danach wurde auf Rot geschaltet. Es dauerte nicht lange, bis wieder die grünen Lampen aufleuchteten. So ging es ziemlich schnell weiter. „Es würde mich nicht wundern, wenn wir da drinnen auf Nimmerwiedersehen verschwänden", sagte jemand hinter ihnen. Aicha drückte Gorlins Hand. Der Bruder sah sie abwesend an. Sein Körper war in Schweiß gebadet und wurde von Schauern geschüttelt, als friere er. Die grünen Lampen über den Türen leuchteten nun nicht mehr alle gleichzeitig auf. Gorlin war rascher vorgerückt als Aicha. Plötzlich war er an der Reihe und verschwand durch die ihm zugewiesene Tür. Aicha konnte es nicht erwarten, bis sie an der Reihe war. Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis sie in vorderster Reihe stand, und dann noch einmal so lange, bis sie endlich grünes Licht bekam, die Teststation zu betreten. Sie kam in einen langen Gang, in dem es um einige Grad kühler war als draußen. Aicha fröstelte. An den Wänden strahlten unzählige grünliche Leuchtstoffröhren, die den Eindruck von Kälte verstärkten. „Geh langsam weiter!", forderte sie die Stimme eines Unsichtbaren auf. Sie gehörte eindeutig einem Kybb-Cranar. Wie konnte es auch anders
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