223 - Die Sünden des Sohnes
Gestrüpp.
Matt Drax kauerte sich im Unterholz zusammen und wartete. Er wollte Gewissheit über Rulfans Schicksal.
Die Abenddämmerung dämpfte das Licht des zu Ende gehenden Tages. Rasch kam die Dunkelheit. Sie löschten die Flammen, untersuchten das Wrack aber nicht. Wozu auch? In dieser verkohlten, rauchenden Falle lebte keiner mehr.
Aus der Stadt schrie ein Mann. Es waren lang gezogene, gellende Schreie. Sie gingen Matt durch und durch. Was geschah dort oben? Bald war es so dunkel, dass er die Wallkrone nicht mehr erkennen konnte. Die Krieger kletterten wieder den Wulst hinauf. Das Geschrei des Mannes ging in Kreischen über. Kurz darauf verstummte es.
Im Schutz der Dunkelheit und der Bäume schlich der Mann, aus der Vergangenheit weiter in Richtung Seeufer. Chira blieb die ganze Zeit neben ihm. Etwa hundertfünfzig Meter hatte er schon zurückgelegt, da ertönten wieder Schreie von der Stadt her. Matt Drax blieb stehen und lauschte. Diesmal schrie eine Frau. Er zuckte zusammen. Sie schrie erbärmlich und in höchsten Tönen. Der Gedanke an Aruula schnürte Matt das Herz zusammen.
***
»Die beiden hier haben wir in der Gesellschaft dieses blasierten Kaisers auf dem Westwall aufgegriffen!« Daa’tan deutete auf Osamao und Imyos. Beide waren nackt und hockten eingesponnen in Dornenranken und blutend vor dem Springbrunnen des Palastparks. »Was hatten sie dort wohl zu suchen?«
»Woher soll denn ich das wissen, mein König?« Elloa lächelte tapfer. Die straffen Maschen eines Jagdnetzes pressten ihr die Arme eng an den Körper. Die Hauptleute Mongoo und Bantu standen neben ihr und hielten die Zugseile des Netzes fest. Zwei Schritte hinter ihr wartete Elloas junge Dienerin Gelani. Sie trug eine Fackel, denn die Dunkelheit brach schon herein. »Warum fragst du mich solche Sachen, mein Geliebter?« Elloa schlug einen weinerlichen Ton an. Sie mimte das naive, unschuldige Mädchen. »Der weiße Kaiser wird sie wohl gefangen genommen haben, schließlich sind sie doch seine Feinde…«
»Ha!« Daa’tan schrie laut auf. »›Gefangen‹ – ich lache gleich!« Er riss sein Zepter aus dem Futteral am Hüftgurt, sprang zu Osamao und schlug es ihm auf den Kopf. »Bist du gefangen genommen worden, he? Rede endlich!«
»Ja…« Osamao zog den blutenden Kopf ein, sein einziges Körperteil, das noch nicht von Dornenranken eingesponnen war. »Gefangen, ja…«
»Lügner!« Breitbeinig stand Daa’tan über dem schwarzen Oberst. Die Dornenranken um dessen blutenden Körper zogen sich enger und enger zusammen. Osamao stöhnte und jammerte. Frisches Blut quoll ihm aus hundert frischen Wunden. »Verdammter Verräter!«
Er fuhr herum, sprang zu Elloa und stieß ihr das Zepter zwischen die Brüste. »Sie sind in deinem Auftrag zu de Rozier gegangen! Du hast sie zum Verrat angestiftet! Du bist die Verräterin!«
»Wie kannst du so etwas sagen, mein geliebter König!« Elloa mimte die Entsetzte, sogar ein paar Tränen der Kränkung drückte sie aus den Augen. »Nicht einmal denken würde ich an eine solche Ungeheuerlichkeit…!«
»Und warum wolltest du dann fliehen?«
»Ich wollte gar nicht fliehen…«
Daa’tan stieß sie zur Seite, drängte sich an ihr und Mongoo vorbei, packte Gelani am Arm und zerrte sie vor die Königin. »Wollte sie fliehen? Rede, mein schönes Täubchen! Wollte sie fliehen oder nicht?«
Gelani nickte hastig. »Sie wollte fliehen, ja. Ich musste ihre Sachen zusammenpacken. Ich musste dafür sorgen, dass sie ins Boot geschafft wurden. Und ständig wollte sie über die Ereignisse auf dem Schlachtfeld unterrichtet werden…«
»Aber ich wollte doch nicht vor dir fliehen, mein Geliebter!« Elloa bedachte ihre verräterische Dienerin mit einem bitterbösen Blick. »Vor den Kaiserlichen wollte ich fliehen! Ich wollte nicht in ihre Hände fallen, falls sie unser Heer besiegt hätten…!«
»Unverschämte Lügnerin!« Daa’tan schlug ihr das Zepter ins Gesicht. Ihre Oberlippe sprang auf und blutete. Daa’tan aber fuhr herum und trat vor den dürren Imyos. Stumm fixierte er den Mann, und sofort begann das Dornennetz um dessen großen Körper sich enger zusammen zu ziehen und erneut zu wuchern.
»Bitte…« Imyos begann zu stöhnen. »Bitte nicht, mein König… bitte, befrei mich von diesem fürchterlichen Stachelgestrüpp…« Die langen Dornen drückten sich durch seine Haut, überall strömte das Blut von seinem Körper. Frische hellgrüne Ranken wickelte sich um seinen Hals und wanderten zu seinem
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