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223 - Die Sünden des Sohnes

223 - Die Sünden des Sohnes

Titel: 223 - Die Sünden des Sohnes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Zybell
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Wolkenstadt, noch bevor die Sonne untergeht«, sagte er gefährlich leise. »Startet sie nicht, rollt dein Kopf!« Der Mann schien noch einmal widersprechen zu wollen, doch dann nickte er nur. Ein roter Blutfaden lief von seiner Kehle in den Ausschnitt des gelben Fracks.
    »Beherrsche dich, König Daa’tan«, zischte ihm Grao’sil’aana ins Ohr, als er an ihm vorbei ging. Gemeinsam mit Mombassa führte er die Ingenieure zum Südwall der Wolkenstadt, damit sie dort mit den Reparaturen begannen. Vom Ostwall her trugen Gefangene und Huutsi-Krieger Verletzte am Rande des Parks vorbei. Manche hörte man jammern und stöhnen.
    Daa’tan aber wandte sich seiner Königin zu. »Und jetzt zu dir, Verräterin!«
    Elloa stieß einen Schmerzenschrei aus und blickte an sich hinunter: Zu ihren Füßen wucherten Dornenranken aus dem Boden des Parks, umschlangen ihre nackten Knöchel und wanden sich rasch zu ihren Knien hinauf. Sie riss den Mund weit auf. Der Atem stockte ihr, kein Schrei kam über ihre Lippen. Das schmerzverzerrte Gesicht der Seherin stand auf einmal grell und überlebensgroß in Elloas Hirn; ihr uraltes, leidendes Gesicht und ihre grässliche Vision. Die Königin begann zu schreien…
    ***
    Die Welt verwandelte sich für Aruula in ein rotierendes Rad aus Bildern: Die Gondeldecke, der Gondelboden, die jaulende Lupa, an der Nefertari sich festhielt, die offene Luke, der schwankende Himmel und schließlich die Balustrade der Außenplattform. Sie stieß mit dem Hinterkopf gegen einen der Holme, und schlagartig hörte das Rad auf zu rotieren. Die Bilder erloschen und der mentale Kontakt zu Nefertari riss jäh ab.
    Im nächsten Moment tauchte sie in einem wogenden Ozean auf und unter. Die Gischt schlug über ihr zusammen, die Gischt teilte sich unter ihr. Wenn sie auftauchte, sah sie Land. Wenn sie untertauchte, sah sie einen Schwarm schuppiger Fischmenschen mit leuchtend roten Scheitelflossenkämmen. Nach und nach sah sie ein, dass nicht sie es war, die pfeilschnell die Wogen teilte und der fernen Küste entgegen schwamm – sie lag auf einem weißen Rücken. Ein anderer Schwimmer trug sie. Ein Fisch. Ein weißer Thunfisch.
    Halt mich, Harv’ah, halt mich fest…
    Eine Stimme raunte in ihrem Hirn, schrie in ihrer Brust, bewegte ihre Zunge.
    Harv’ah, trag mich an Land…
    Nefertaris Stimme. Der weiße Thunfisch tauchte auf, und das Land war ein breiter Ballonwulst voller Kanonen, Leichen und aufeinander eindreschenden Männern; schwarzen Männern. Dann ging ein Ruck durch Land und Meer, und es wurde dunkel. Erschreckend dunkel. Nefertaris Stimme verstummte.
    Irgendwann – nach einem Atemzug? Nach einem Tag? – begann die Welt wieder zu schwanken. Stimmen murmelten dicht an Aruulas Ohren. In der Ferne schrie etwas. Aruula dachte an einen Wakudastier, den man bei lebendigem Leib mit einem Bratspieß durchbohrt und über ein Feuer gehängt hatte. Doch dann ging das Geschrei in Geröchel und Gestöhne über, und Aruula begriff, dass es ein Mann war, der da schrie. Er verstummte plötzlich, und die Stimmen in ihrer unmittelbaren Nähe traten in den Vordergrund.
    Nefertari lauschte. Die Stimmen redeten in einer ihr unbekannten Sprache. Sie spürte, dass starke Hände sie festhielten. Sie schlug die Augen auf; Aruulas Augen. Dämmerlicht herrschte, fast dunkel war es. Ein schwarzes Männergesicht schwebte über ihr. An den Knöcheln und Knien spürte sie raue Hände. Ein breit gebauter Mann hielt sie an den Handgelenken fest und ließ sie an einem Wehr hinunter. Von unten griffen andere Männerhände nach ihr und nahmen sie in Empfang.
    Man legte sie auf eine Art Trage, hob sie hoch und trug sie davon. Nefertari wandte den Kopf nach links: Ein großer Platz öffnete sich dort, sie sah umgestürzte Tische und verlassene Marktstände.
    Männer hockten mit hängenden Köpfen am Boden. Sie trugen blaue Uniformen, fremdartige Jacken und Hosen und Hüte. Einige schienen Perücken zu tragen.
    Andere Männer – halbnackt und bewaffnet – friedeten den Platz, auf dem die Blauröcke hockten, mit einem Drahtzaun ein. Einige beleuchteten die Szene mit Laternen, in denen leuchtende Insekten schwirrten. Zweihundert Meter dahinter zeichneten sich Konturen von Gebäuden vor dem nachtblauen Himmel ab.
    Eine Frau begann zu schreien. Nefertari wandte den Kopf nach rechts. Da wuchsen Bäume, plätscherte Wasser in einem Zierbrunnen, standen Männer in einer Art Garten. Eine Frau mit einer Laterne war unter ihnen. Ein hellhäutiger Mann

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