223 - Die Sünden des Sohnes
Baumes, hörte er Chira knurren. Er spähte nach unten. Mit gesträubtem Rückenfell stand Chira neben dem Stamm und stemmte die Vorderläufe ins Gras. Eine schwarze Schlange hatte sich vor ihr aufgerichtet. Sie war vielleicht drei Meter lang und so dick wie ein Unterarm. Sie züngelte zischend. Eine gezackte rote Linie leuchtete auf ihrem flachen Schädel.
»Weg von dem Biest!«, rief Matt. Zu spät: Chira fletschte die Zähne und griff an. Sie erwischte die Schlange etwa zwanzig Zentimeter unterhalb des züngelnden Schädels – Spielraum genug für die Schlange, ihre Zähne in Chiras Schulter zu schlagen. Matt hielt den Atem an.
Die Lupa jaulte auf. Sie gab die Schlange frei und versuchte sie abzuschütteln – vergeblich. Matt kletterte vom Baum. Chira wechselte die Taktik: Sie schnappte wieder nach dem schwarzen Schlangenkörper und biss mit aller Kraft zu. Die Schlange streckte sich und fiel von ihrer Schulter.
Unten angekommen packte Matt seine Kalaschnikow. Die Schlange zuckte und wand sich. Auf sie zu schießen hätte Matts Versteck verraten, verbot sich also. Chiras Vorderläufe knickten ein, ihre Schnauze schlug ins Gras, sie winselte.
Der Mann aus der Vergangenheit packte den Lauf des Gewehres, trat vor die zuckende Schlange und schlug zu, zwei Mal. Der Schlangenschädel zersplitterte unter dem Gewehrkolben. Matt blickte zu Chira und erschrak: Auch ihre Hinterläufe knickten jetzt ein. Sie kippte seitlich ins Gras und rührte sich nicht mehr. Ihre Zunge hing schlaff zwischen ihren Fängen heraus. Sie winselte nicht einmal mehr.
»Bitte nicht«, stöhnte Matt. »Bitte nicht auch noch du…«
Er warf sich neben Chira und tastete nach ihrer Halsschlagader. Vergeblich lauschte er ihrem Hecheln, vergeblich suchte er ihren Puls. Da war nichts mehr, nichts. Er stieß einen wütenden Schrei aus und schlug nach dem schlaffen Körper der Schlange. Dann ließ er sich fallen und streckte sich neben der Lupa im Gras aus.
Commander Matthew Drax war kein Mann, der an Zeichen glaubte oder an Winke des Schicksals und dergleichen, und dennoch wollte ihm der Tod des treuen Tieres wie ein schlechtes Omen erscheinen. Er resignierte.
***
Durch die Fenster fiel das Licht der Mittagssonne. Sie tranken und aßen, was sie in der Palastküche fanden. Danach trat Yann Haggard an die Tür und schlug mit der Faust dagegen. »Hallo? Steht jemand da draußen?« Er benutzte das Idiom, das er schon von den beiden Emissären der Königin Elloa kannte. »Wacht jemand vor der Tür?«
»Verlass dich drauf«, knurrte eine unfreundliche Stimme.
»Öffne die Tür, wir müssen mit dir reden«, sagte Yann. »Oder mit euch, falls ihr zu zweit seid!« Aruula und ein paar Frauen des Kaisers standen hinter ihm. Sie lauschten mit angespannten Mienen.
»Verpiss dich«, sagte der Wächter auf der anderen Seite der Tür.
»Es ist wichtig«, beharrte Yann Haggard.
»Wichtig ist für dich nur, dass du Ruhe gibst«, knurrte die unfreundliche Stimme. »Sonst bring ich dich nämlich für immer zum Schweigen.«
Yann Haggard blickte sich nach den anderen um. Aruula nickte ihm zu. Er räusperte sich. »Es ist nur so, dass ihr versehentlich die Mutter eures Königs hier mit eingesperrt habt!«
Ein paar Atemzüge lang kam keine Reaktion von der anderen Seite der Tür. Haggard meinte zwei Männerstimmen miteinander tuscheln zu hören. Dann drehte sich ein Schlüssel im Schloss. Die Gefangenen hielten den Atem an. Yann Haggard wich zurück.
Die Tür wurde aufgerissen. Die Wächter waren zu zweit. Aus schmalen Augen belauerten sie erst den Seher und dann die anderen Gefangenen.
»Ich bin König Daa’tans Mutter.« Aruula stellte sich vor Yann Haggard.
Sie hatte sich mit Nefertari und dem Seher auf einen Plan geeinigt, den der Hydritengeist Gilam’esh entwickelt hatte. Noch hatte sie die Herrschaft über ihren Körper nicht zurück erlangt, doch arbeitete sie nun mit Nefertari zusammen und versorgte sie mit allen notwendigen Informationen.
»Geh zum König«, sagte sie, »und richte ihm aus, dass seine Mutter Aruula ihn sprechen will!«
Die beiden Krieger sahen sich erst ratlos an. Dann richtete der kleinere von beiden seinen grimmigen Blick auf Aruula. »Du lügst doch, Weib!« Er zog sein Schwert. »Eine Lügnerin wie dich sollte man einen Kopf kürzer machen!«
»Schon möglich, dass ich lüge.« Aruula tat zwei Schritte auf den Krieger zu. Auch ihre Miene zeigte nicht die Spur von Angst. »Doch stell dir vor, ich sage die Wahrheit und du
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