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223 - Die Sünden des Sohnes

223 - Die Sünden des Sohnes

Titel: 223 - Die Sünden des Sohnes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Zybell
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dämmerte bereits der Abend herauf. Grao’sil’aana machte sich auf den Weg zum Palast. Seine Entscheidung stand fest.
    Daa’tan wusste nichts davon, dass Grao’sil’aana seine Mutter in das Königsgrab gesperrt hatte. Sollte er es je erfahren, würde das unweigerlich die Beziehung zwischen Zögling und Mentor zerrütten. Das durfte unter keinen Umständen geschehen. Diese Frau nützte niemandem, so lange sie lebte, konnte aber vielen schaden. Sie musste weg, das war dem Daa’muren völlig klar, es blieb ihm gar nichts anderes übrig, als Aruula zu töten.
    Die Menschen, die ihm entgegen kamen, wichen ihm aus. Hier und da grüßte ein Huutsi-Krieger scheu. Grao’sil’aana nahm es nicht wahr. Ganz in Gedanken versunken, registrierte er kaum die vier Luftschiffe, die an jeder Ecke der Stadt befestigt worden waren.
    Ein Ruck ging plötzlich durch den Boden, eine Bewegung durchlief die ganze Stadt und ihre Wälle. An vielen Stellen sah Grao’sil’aana strauchelnde Menschen. Hier und da stürzte jemand, fast alle hielten sich irgendwo fest. Ein Erdbeben!, war sein erster Gedanke.
    ***
    Im Traum wälzte er einen Stein einen steilen Geröllhang hinauf. Der annähernd runde Stein reichte ihm bis zum Kinn. Jedes Mal, wenn er ihn ein paar Zentimeter bewegen konnte, knirschte es mächtig unter dem Brocken. Durch sein Gewicht zermalmte er das Geröll. Zentimeterweise wälzte er ihn einem fernen Bergkamm entgegen.
    Das nervtötende Knirschen wurde lauter und lauter. Irgendwann knirschte es so laut, dass Matt Drax aus seinem Traum aufwachte. Er öffnete die Augen. Schon fast dunkel war es. Es knirschte noch immer. Er fuhr hoch und lauschte. Das Knirschen kam von Westen, aus der Richtung, in der die Wolkenstadt lag.
    Matt sprang auf. Traurig blickte er auf die dunklen Umrisse der toten Chira zu seinen Füßen. Die Trauer schlug jäh in Wut um – er fuhr herum und trat nach dem schwarzen Kadaver der Schlange. Sie flog durch die Dunkelheit und schlug irgendwo im Gebüsch auf. Der Mann aus der Vergangenheit machte einen Schritt über den Lupakadaver und kletterte in die Weide hinein.
    Von ihrem Wipfel aus spähte er zur Stadt. Deutlich zeichneten sich ihre Umrisse vor dem letzten Tageslicht über dem westlichen Horizont ab. Irgendetwas knirschte dort ganz gewaltig.
    Vier Luftschiffe schwebten über den Wällen. Benutzten die Eroberer jetzt die Rozieren, um ihr Material und ihre Waffen auf die Stadt zu schaffen? Dann erkannte er, dass die Luftschiffe mit der Stadt verbunden waren. Sie hoben das sperrige Gebilde an, und die Stadt bewegte sich. Das Stampfen von Dampfmaschinen und Propellerlärm mischten sich in das Knirschen.
    Der Mann aus der Vergangenheit begriff: Sie hatten den zentralen Trägerballon an die Versorgungsstation angeschlossen. Offenbar füllten sich jetzt gerade die geflickten Gasparzellen allmählich wieder. Um den Tankvorgang zu beschleunigen, hoben die Ingenieure die Stadt ein wenig an. Das verursachte das Knirschen.
    Der letzte Lichtstreifen am Westhorizont erlosch. Minutenlang beobachtete Matt die Umrisse der Wolkenstadt. Seine Gedanken kreisten um Aruula, seine Geliebte. Hatte sie den Absturz überlebt? Und was war mit Rulfan; auch von ihm hatte es kein Lebenszeichen mehr gegeben.
    Er dachte an die Männer, die er in den letzten Monaten als Freunde gewonnen hatte, an Yann Haggard, an Victorius und an Pilatre de Rozier. Alle waren sie nun die Gefangenen seines Sohnes. Es war zum Verzweifeln.
    Was sollte er nun tun?
    Gegen Grao’sil’aana gab es kaum eine wirksame Waffe, und gegen Daa’tans Pflanzenmacht war praktisch kein Kraut gewachsen. Die beiden waren so gut wie unbesiegbar.
    Zu allem Überfluss erhob sich jetzt auch noch Wimereux-à-l’Hauteur um einige Meter über den Boden. Jubelgeschrei ertönte von der Stadt her. Fünf bis zehn Meter hoch stieg das gigantische Gebilde, genau vermochte Matt Drax das wegen der Dunkelheit und der Entfernung nicht zu sagen. Doch gleichgültig, ob fünf oder zehn Meter: Für ihn war die Stadt nun unerreichbar. Oder etwa nicht?
    Grübelnd hockte er im Geäst. Die Resignation kroch ihm wie ein Gift durch die Glieder. Unter ihm, am Fuß des Baumes, raschelte es. Ein Ruck ging durch seinen Körper. Aus schmalen Augen versuchte er die Dunkelheit zu durchdringen und spähte nach Unten. Irgendjemand schlich dort im Gras herum…
    ***
    Er war ein großes Kind, Nefertari durchschaute ihn sofort. Seine schroffen Befehle an die Diener und Krieger, seine grimmige Miene, sein

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