223 - Die Sünden des Sohnes
Keine zwei Stunden, dann würde er sie wieder sehen. Zumindest Banta.
Daa’tan blickte über den breiten Waldstreifen hinweg, den er in den letzten elf Stunden hatte wuchern lassen. Später Nachmittag war es jetzt, und gut drei Meter hoch standen die Bäume und Sträucher inzwischen. Eine perfekte Deckung.
Daa’tan wandte sich ab und ging an seinem Zelt vorbei zum Seeufer. Hier im Uferwald, fast einen Kilometer von der Wolkenstadt entfernt, hatten seine Hauptleute die Werkstattzelte aufstellen lassen. Hier bereitete ein Teil seiner Krieger sich auf den nächsten Angriff vor, hier stand das Zelt der Heiler und das Zelt mit den Gefangenen.
Eben verließen zwei seiner Krieger das Gefangenenzelt. Sie trugen einen Toten heraus. Dessen haarloser Schädel war eine einzige blutende Wunde. Daa’tan schlug die Plane vor dem Eingang zur Seite und trat ein. »Seid ihr so weit?«
»Gleich, mein König, gleich sind wir so weit«, sagte seine oberste Dienerin. Sie und zwei Krieger machten sich an einem der drei Gefangenen zu schaffen, an Yabandu, einem Hauptmann der Kaiserlichen.
Während er sich die Haare in den Nacken band und seinen Umhang und seinen schwarzen Lederharnisch ablegte, beobachtete Daa’tan, wie sie dem Gefangenen das krause Haupthaar abrasierten. Anschließend färbten sie sein Gesicht, seinen Schädel, seine Hände, Arme und Beine rosig hell. Danach setzten sie ihm einen Skalp mit glattem, dunklen Langhaar auf. Den hatten sie zuvor einem anderen Gefangenen abgenommen hatten – dem Toten, den man kurz vor Daa’tans Eintreffen aus dem Zelt getragen hatte. Das Haar kürzten sie, bis es in etwa die Länge des Haares ihres Königs hatte.
Yabandus Blicke schienen Daa’tan zu durchbohren. Angst und Erschöpfung spiegelten sich in seinen Augen. »Du wirst einen langen und qualvollen Tod sterben, wenn du nicht mitspielst«, sagte Daa’tan leise.
Der Hauptmann reagierte überhaupt nicht. Die Huutsi hatten ihm übel mitgespielt seit seiner Gefangennahme. Er war ein gebrochener Mann und glaubte dem jungen König jedes Wort.
Sie zogen ihm Daa’tans Lederharnisch an, legten ihm den roten Umhang um und stülpten ihm den schwarzen Helm mit dem Büffelgehörn auf den Kopf. Sorgfältig verknoteten sie ihn unter seinem Kinn und in seinem Nacken.
»Wir sind fertig, mein König«, sagte die oberste Dienerin.
Daa’tan betrachtete den Gefangenen. Zufrieden nickte er schließlich. »Solange er nicht näher als hundert Schritte an die Stadt herankommt, werden sie ihn nicht erkennen. Setzt ihn in den Nackensattel des Efranten. Und vergesst nicht, ihm ein Langschwert auf den Rücken zu binden! Zwei Krieger müssen bei ihm auf dem Tier reiten. Bestimmt sie durch das Los!«
Die Dienerin und die Krieger nickten und schleppten Yabandu aus dem Gefangenenzelt. Daa’tan schlüpfte in einen weiten dunkelgrauen Baumwollanzug. Er band sich eine dunkelgraue Kapuze um und gürtete sich mit dem Kreuzgurt für die Munition, für seine Schwertscheide und für die Faustfeuerwaffe. Abgesehen von dem Zepterfutteral und von Nuntimor, dessen Knauf ihm über die Schulter ragte, sah er jetzt aus wie ein einfacher Kavallerist.
Draußen vor dem Zelt stieg er eine Stunde später auf ein Dampfbaik. In einem Pulk von zwanzig anderen Dampfbaikern fuhr er in die Schlacht. Schon ertönten von der Nordseite der Wolkenstadt her die Trommeln. General Sangos Trommler gaben das Zeichen zum Angriff.
Knapp fünfhundert Meter von der Kaiserhauptstadt entfernt, außerhalb der Reichweite der feindlichen Dampfdruckkanonen, ritten, marschierten oder fuhren Daa’tans dreihundert Krieger von der Uferseite der abgestürzten Wolkenstadt Richtung Nordseite, wo das ganze Heer sich nach und nach in dreifach gestaffelten Angriffslinien über eine Breite von vierhundert Metern hinter General Sango und den Obersten Bantu und Mongoo sammelte.
Ein Schlacht-Efrant stapfte Daa’tans dreihundert Huutsi voran. Der weiße Krieger mit dem Büffelhornhelm, der darauf ritt, sah dem jungen König zum Verwechseln ähnlich. Das gesamte Heer wusste, dass ein Gefangener im Nackensattel des Dickhäuters saß, dass sein wahrer König mit den Kavalleristen fuhr.
Als Daa’tans Gefährt am Waldstreifen vorbei rollte, den er seit Sonnenaufgang hatte wuchern lassen, sah er vierzig oder fünfzig Krieger zwischen den Bäumen und Büschen kauern. Banta führte sie an. Daa’tan erkannte sie am rot bemalten Gesicht.
Sie winkte und entblößte ihre spitzen Zähne. Daa’tan ließ sich vom
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