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223 oder das Faustpfand - ein Kriminalfall

223 oder das Faustpfand - ein Kriminalfall

Titel: 223 oder das Faustpfand - ein Kriminalfall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Residenz
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schwarze, halbverfaulte Erdäpfel, die nicht einmal das einzige Mastschwein gerne gefressen hat – der Keller der Keusche seiner Eltern war voll damit, und schon bald kannte er so gut wie nichts sonst auf der Welt alle Speisen, die man aus diesen elenden Kartoffeln, mit ein bisschen Salz und praktisch kaum Öl oder Schmalz, zubereiten konnte. Ein Großonkel seiner Mutter war Rayonsinspektor in Langenlois, sodass er als Aspirant aufgenommen und in der Rossauer Kaserne in Wien ausgebildet wurde. Er war als Probegendarm stolz darauf, die Uniform, den Rock des Kaisers zu tragen, obwohl er lieber Bauer geworden wäre, aber die Wirtschaft stand seinem ältesten Bruder zu und trug nicht mehr als eine Familie, nicht einmal Gesinde. Damals gab es noch keine Nazis, keine Kommunisten, keine radikalen Sozis, nur die Schönerer-Vereine, die gegen die Kirche und die Juden wetterten, aber das brauchte zu der Zeit einen kaiserlichen Gendarmen nicht zu kümmern, jedenfalls nicht wirklich. Die ersten Flecke bekam der schöne Rock des Kaisers, als er im Krieg als Junggendarm immer wieder bei Requirierungen eingesetzt wurde. Armseligen Kleinhäuslern, wie es seine Eltern waren, den einzigen Ackergaul, die letzte Ziege, ein paar magere Hühner und die mühsam gemästeten Ferkel aus dem Stall zu treiben, nur um die Truppen in Italien, im fernen Russland zu versorgen, missfiel ihm, obwohl er das niemals, nicht einmal sich selbst gegenüber eingestanden hätte. Er hatte gelernt, widerspruchslos zu parieren. In der Umbruchszeit war er einige Monate in dem umkämpften neuen Bundesland, dem späteren Burgenland, eingesetzt. Bei Kirchschlag war er als MG-Schütze 2 daran beteiligt, einen anstürmenden ungarischen Freischärler mit einem Kugelhagel zu empfangen. Der Mann war gestorben, und sie hatten seine Leiche nach dem Gefecht an Ort und Stelle begraben, wobei der Patrouillenleiter sogar ein kurzes Gebet für den toten Feind gesprochen hatte. 1924 hat er geheiratet, und 1925 ist seiner Frau und ihm eine Tochter geschenkt worden, es blieb das einzige Kind. Er hatte sich immer auf seine kleine Familie konzentriert, aber gleichzeitig auch voll auf den Dienst, und war kontinuierlich, beinahe Jahr für Jahr, aufgestiegen, bis zum Revierinspektor, womit wohl der Zenit seiner Karriere erreicht war. Er wählte sozialdemokratisch oder ungültig, und im Februar 1934 wäre er fast nach St. Pölten beordert worden, aber der dortige Schutzbund stürmte mangels frischer Kräfte und vor allem mangels funktionierender Waffen und ausreichender Munition den Ortsteil Wagram dann doch nicht, nachdem er zuvor beim städtischen Elektrizitätswerk eine empfindliche Niederlage durch Einheiten von Heimwehr und Bundesheer erlitten hatte, so dass eine Verstärkung durch überörtliche Gendarmerie nicht mehr notwendig war. 1938 empfand er eigentlich kein allzu großes Bedauern über den Untergang des so genannten Ständestaates, des morschen Österreich der Christlich-Sozialen und der Heimwehr, und die Übernahme in die deutsche Beamtenschaft war aus seiner damaligen Sicht doch nur wenig mehr als ein formaler Verwaltungsakt, wenngleich ein durchaus aufwändiger, da das Paradeexerzieren komplett neu zu erlernen war, von den neuen Dienstvorschriften und den gänzlich anderen Gesetzen ganz zu schweigen. Vom reinen Unterhaltungswert der Lektüre waren Reichsgesetzblatt und Bundesgesetzblatt durchaus gleich, sprich gleich langweilig. Ohne Enthusiasmus bewarb er sich als Parteianwärter, um seinen weiteren beruflichen Aufstieg nicht zu behindern. 1939 hatte er gemeinsam mit 2 Kollegen einen kommunistischen Erntehelfer aufzuspüren und zu verhaften und ihn schließlich im Bezirksgericht Krems abzuliefern. Er wusste damals, dass der Mann nach Dachau kommen würde, und er wusste auch, was Dachau bedeutete. 1943 und 1944 nahm er mehrmals an ausgedehnten Streifungen und Fahndungen nach Deserteuren im Landkreis teil. Auf Grund seines Alters wurde er nicht eingezogen, während alle jüngeren Gendarmen des Postens nach und nach das Ehrenkleid der Wehrmacht anzulegen hatten. Aufgefüllt wurde mit Ersatzgendarmen, älteren Männern aller möglichen und unmöglichen Berufe, und mit pensionierten Gendarmen, die man ganz einfach wieder in Dienst stellte. Erst Ende 1944, Anfang 1945 kamen seine Zweifel, wuchsen langsam, aber stetig. Er war schließlich ein Mann, der sein ganzes Leben gedient hatte, und jetzt sollte er auf einmal, so mir nix, dir nix, seinen obersten Dienstherrn, den

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