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223 oder das Faustpfand - ein Kriminalfall

223 oder das Faustpfand - ein Kriminalfall

Titel: 223 oder das Faustpfand - ein Kriminalfall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Residenz
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Mannschaften in den Tod schicken, in den sie manchmal sogar selbst mitgehen. Ausnahmsweise treiben auch keine Trümmer und Toten die schöne, grauschwarze Donau hinunter. Am anderen Ufer erkennt Revierinspektor Franz Winkler das schmucke Städtchen Ybbs mit den riesigen, kaisergelben Baukörpern der Landesirrenanstalt des ehemaligen Erzherzogtums unter der Enns, die jetzt ein riesiges Lazarett ist, und fast genau gegenüber der schroffen Persenbeuger Feste das liebliche Schloss Donaudorf, und wenn es nicht gar so trüb und nebelkalt wäre, könnte man meinen, es wäre ein ganz normaler Frühjahrsmorgen im tiefsten Frieden.
    Beinahe hätte Revierinspektor Franz Winkler, während er in Gedanken über den Vorplatz des Lagers dahinstapfte, das kleine Häuschen zirka 50 Meter weiter südlich der Lagerbaracken übersehen, vor wenigen Wochen noch das Büro der Ingenieure der Rhein-Main-Donau AG oder die persönliche Unterkunft des Wachkommandanten, Herr über Leben und Tod von ukrainischen und polnischen und sonstigen Zwangsarbeitern, die hier wie Sklaven für ein Kraftwerk zu schuften hatten, das in all den Jahren des Tausendjährigen Reiches nicht einmal ansatzweise fertig geworden, ja kaum richtig begonnen worden war. Erst jetzt fällt dem Revierinspektor wieder ein, dass in dem Häuschen der Lagerarzt der Juden untergebracht worden ist, ein gewisser Dr. Weiß oder so ähnlich. Die Unterkunft ist ihm mit seiner Gattin und seiner Schwester am 25. April von Korporal Landler zugewiesen worden. 3 Stricherl mehr auf meiner Totenliste, denkt Winkler und öffnet die aus ungehobelten alten Fichtenbrettern zusammengenagelte Tür der Hütte. Sie ist unverschlossen, da es Zwangsarbeitern bei hoher Strafe verboten ist, die Türen ihrer Quartiere zu versperren – selbst wenn sie Schlüssel für die Schlösser hätten, was aber sowieso nie der Fall ist.
    Im Inneren der Hütte liegen auf 3 schmalen, einfachen Pritschen ein älterer Mann und 2 ältere Frauen. Revierinspektor Winkler braucht einige Sekunden, um einigermaßen zu begreifen, dass diese 3 Menschen nicht tot sind, sondern nur tief und fest schlafen. Er ist verblüfft.
    Immer wieder erklärt Revierinspektor Franz Winkler den 3 völlig verschreckten und verstörten Personen, dass höchstwahrscheinlich SS auf dem Rückzug das Verbrechen verübt habe. Immer wieder versichert er auch, dass keine SS mehr in der Nähe des Lagers sei und schon gar nicht im Lager. Die Tränen von Olga Weisz können diese wiederholten Erklärungen nicht stoppen, auch den Schrecken von Szeréna Weisz nicht bannen, die mit zitternden Armen und Beinen, aber wortlos auf ihrer Pritsche liegt. Es ist Winkler peinlich, schwer bewaffnet und in voller Montur vor 2 älteren Frauen zu stehen, die offenbar gerade einen Nervenzusammenbruch erleiden.
    Dr. Henrik Weisz ist sich im Klaren darüber, in welcher prekären Lage sie sich befinden. Dieser Gendarm könnte, wenn er das nur wollte, jederzeit seine Dienstwaffe ziehen oder seinen Karabiner von der Schulter nehmen, durchladen und sie exekutieren. Nach Brauch und Herkommen des NS-Staates würde er sich dafür vielleicht sogar eine Belobigung oder einen Orden verdienen, die gerade jetzt inflationär verteilt werden. Mancher Todesmarsch, auf dem einzelne erschöpfte Nachzügler erschossen worden waren, wurde auch von Gendarmen eskortiert. Aber weil er keine Wahl hat, beschließt Dr. Weisz, dem Gendarmen zu vertrauen.
    »Ich, das heißt wir haben in der Nacht weder einen Schuss noch sonst einen verdächtigen Lärm gehört, keine Geräusche, keine Schreie, nichts«, sagt Dr. Weisz mehr zu sich selbst als zu Revierinspektor Winkler.
    Da habe ich jetzt schon 5 Zeugen, denkt der missmutig, und keiner hat etwas gesehen oder gehört. »Ich werde Sie unter Bedeckung auf den Gendarmerieposten bringen lassen. Sie stehen dort unter dem Schutz der Persenbeuger Gendarmerie«, erklärt der Revierinspektor förmlich, mitten hinein in das unaufhörliche Weinen von Olga Weisz und in den Schrecken von Szeréna Weisz.
    »Wir haben geschlafen und nicht das Geringste gehört oder gesehen!«, versichert Dr. Weisz noch einmal.
    »Es ist nur zu Ihrem eigenen Schutz, wenn wir Sie jetzt gleich auf den Posten mitnehmen«, meint Winkler, und es klingt wie ein amtliches Schlusswort. Am liebsten hätte er das Häuschen sofort fluchtartig verlassen; das Weinen einer älteren Frau ist für ihn nur schwer zu ertragen. Einen Augenblick hat er das Gesicht seiner Mutter vor Augen und verflucht in

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