223 oder das Faustpfand - ein Kriminalfall
Soukop noch nicht auf.
»Gibt’s nicht, gibt’s nicht!«, zischt der Revierinspektor. »Wenn ein paar Meter vor meiner Haustür 50, 60 Leute zusammengeschossen werden, und ich bekomme nichts davon mit, dann ...«
»Dann?«, fragt Soukop gespannt und vergisst schon wieder die förmliche Anrede des Vorgesetzten.
»Dann stehe ich höchstwahrscheinlich selbst mit den Mördern im Bunde. Ihr wisst also, was ihr den Leuten zu sagen habt!«, antwortet der Revierinspektor. »Sie haben genau 2 Möglichkeiten: Entweder sie erscheinen heute noch auf dem Posten als Zeugen oder sie werden später möglicherweise als Beschuldigte vorgeführt. Heute vor mir oder ein paar Tage später vor den Russen – sie können es sich aussuchen!«
Während das müde Häuflein seiner Leute abrückt, geht Winkler auf den nunmehr leeren Posten zurück und packt die Protokolle der bisherigen Zeugenaussagen in eine alte braune Kartentasche, die er sich umhängt. Dann nimmt er seinen Karabiner auf, lädt ihn durch und hängt ihn sich ebenfalls über den Rücken.
Nur eine Handgranate fehlt noch, lächelt der Gendarm in sich hinein. Franz Winkler stapft die paar Schritte schräg über den Marktplatz direkt auf das Rathaus zu, in dem ein nervöser, völlig ratloser Oberbürgermeister sitzt. Er trägt noch immer seine durchgeladene Pistole im Halfter und natürlich den Karabiner über der Schulter. Seine Uniform ist durchgeschwitzt, und er fühlt sich unrasiert, was er auch tatsächlich ist. Den Weg in das überladenprächtige Arbeitszimmer des Gemeindeoberhaupts kennt er bestens. Winkler hat den kleinen Mann mit den großen Ohren, dem noch größeren Schnurrbart und dem herrischen Gehabe eigentlich immer nur verachtet, das aber niemals offen gezeigt. Nun ist es an der Zeit, mit diesem großkotzigen Ortskaiser Tacheles zu reden, denkt Winkler und freut sich fast schon darauf. Gerade an einem Tag wie diesem ist er fest entschlossen, die kommende Auseinandersetzung zu genießen.
Der bewaffnete Gendarm trifft den Oberbürgermeister auch tatsächlich in seinem Büro an, wo er wie hingespuckt in einem monströsen Eichensessel, der einem Cäsarenstuhl nachempfunden ist, nahe einem Fenster kauert. Den ebenfalls anwesenden Standesbeamten scheucht der Revierinspektor mit einer einzigen, knappen Kopfbewegung aus dem Raum.
»Was gibt es Neues?«, fragt Oberbürgermeister Maier in seiner ganzen Verlegenheit.
»Ich bin nicht zum Schmähführen da. Das ist ein Arbeitsgespräch, bei dem zunächst einmal vor allem ich rede. Sie und Ihre Leute werden dann die Arbeit haben. Haben Sie das verstanden?«, antwortet der Revierinspektor, der es überhaupt nicht goutiert, von Maier nicht korrekt mit seinem Amtstitel angesprochen zu werden.
Noch bevor der Oberbürgermeister antworten kann, hört Winkler ein Geräusch an der Tür, durch die er vorhin gekommen ist. Abrupt dreht er sich um und hat plötzlich mittels einer oftmals geübten Bewegung den Karabiner in beiden Händen.
»Ja, wen haben wir denn da? Doch nicht den schwer erkrankten Herrn Ortsgruppenleiter?«, feixt der Revierinspektor. »Glückwunsch zur rasanten Besserung! Können Sie mir nicht Ihren Hausarzt weiterempfehlen? Das muss ja ein wahrer Wunderheiler sein!«
Ortsgruppenleiter Urban zuckt zurück, aber mit einer einzigen unmissverständlichen Bewegung zwingt ihn der Gendarm in den Raum. Urban trägt eine sorgfältig gebügelte SA-Uniform, was Winkler eigentlich nur mehr idiotisch findet.
»Ich hoffe zuversichtlich, dass Sie sich in dem braunen Ehrenkleid da nicht den Russen präsentieren werden. Die knüpfen Sie glatt auf, da kennen die gar nichts!«
Der Ortsgruppenleiter ist einfach baff. Während er noch nach einer Antwort sucht, redet Winkler weiter auf ihn ein: »Sie werden sofort all Ihre Leute zusammentrommeln, den ganzen Persenbeuger Volkssturm, und sie persönlich zum Judenlager und zu den 3 Exekutionsorten in Hofamt Priel führen. Dort werden Ihre Leute die Leichen filzen und alles zusammensammeln, was sich an deren Körpern, in deren Taschen, unter der Kleidung oder wo auch immer findet: Dokumente, Ausweise, persönliche Aufzeichnungen, Schmuck, Geld und so weiter und so fort. Und wenn davon etwas wegkommt, Urban, mache ich Sie persönlich dafür verantwortlich! Ich will übrigens alle Artefakte bis spätestens morgen früh um 10 auf meinem Schreibtisch haben! Auch dafür sind Sie mir persönlich verantwortlich! Das alles ist jetzt kein Vorschlag oder so, nicht einmal ein dringender Rat
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