223 oder das Faustpfand - ein Kriminalfall
und deutet auf den Buben: »Dich nehme ich! Die anderen beiden müssen weiter. Wenn die SS 2 Männer auf meinem Hof findet, dann weiß ich nicht, was mit mir und meiner Familie passiert.«
Es ist wie ein Orakelspruch, wie das Augenblinzeln der Schicksalsgöttin. Marton Rosenthal und der junge Mann nicken unwillkürlich und wenden sich langsam, wie in Zeitlupe von der Pforte, vom Hof ab, bereit, weiter zu marschieren. Der Bauer dreht den behüteten Kopf zurück und schreit in den Hof hinein: »Hedi! Ein Brot! Aber dalli!« Unwillkürlich hat sich auch Tibor Yaakow Schwartz vom Hof abgewendet. »Du, bleib da, habe ich gesagt!«, ruft der Bauer ihm zu.
Eine junge Magd in einem dunkelblauen, altmodischen und abgetragenen Kattunkleid erscheint in der Pforte, zwängt sich rechts vom Bauern durch. In ihren kleinen, roten Händen hält sie einen 3-Kilo-Laib dunkles Roggenbrot.
Die Stube ist dunkel, rauchig und warm. Am Tisch sitzen die Bäuerin und 3 Mägde, darunter die kleine, zarte Hedi, welche die jüngste zu sein scheint. Aber an den abgearbeiteten, von Wind und Wetter fast gegerbten Gesichtern ist das Alter nur schwer abzulesen. In dieser kargen Gegend ist die Jugend kürzer als anderswo. Alle 4 starren den Jungen an, den der Bauer an den Schultern vor den riesigen Holztisch geschoben hat.
»Wie heißt denn?«, fragt ihn nun mit rauer Stimme der Bauer, der breitbeinig, die Daumen zwischen Gürtel und Hose geschoben, in der Mitte der Stube stehen geblieben ist.
»Tibor«, antwortet er leise.
»Das ist der Tibor – damit ihr es wisst!«, verlautet der Bauer, den Blick aufmerksam auf die 3 Mägde gerichtet. »Der Tibor bleibt bei uns auf dem Hof. Zumindest bis die Russen da sind. Und wenn eine von euch die Goschen nicht halten kann … Überhaupt bleiben wir jetzt alle besser zusammen! Wenn ich jemanden weggehen sehe vom Hof, laufe ich ihm nach und dann …« Mit seiner rechten Hand macht er eine rasche Bewegung, wie wenn er etwa mit einem Holzscheit einem zappelnden Kaninchen in seiner linken das Genick zerschmettern würde. Damit ist nun allen klar, worum es hier geht. Alle, außer Tibor, nicken zustimmend.
Die Familie Georg Forsthofer aus Brand, Post Persenbeug, Niederdonau, hat sich soeben zum zweiten Mal entschieden gegen das Dritte Reich gestellt.
Tibor Yaakow Schwartz’ Bauch schmerzt, sein Magen ist so voll wie schon seit vielen, vielen Monaten nicht mehr. Brot und selbst gemachte, leicht säuerliche Butter, Kartoffeln und Salz, dicke Schnitten fettes Geselchtes und noch viel fetterer, würziger Kümmelbraten, Schmalz und Grammeln, ein großer Topf mit Frischkäse, Most und Milch wurde in der Stube aufgetragen. Tibor bekam einen Platz auf der Bank neben Hedi, einen riesigen Löffel aus Holz, ein rundes, abgenutztes Messer und einen Holzteller. Kurz bevor der Bauer seinen Löffel in den Käse grub, war ein zirka 15-jähriger Bub im Raum erschienen und hatte sich auf den freigehaltenen Sessel links neben dem Familienoberhaupt niedergelassen. Der groß gewachsene Halbwüchsige trug einen völlig abgenützten und abgewetzten Steireranzug und eine Art Plane über den Schultern, die er auch zum Essen nicht abnahm. Er hatte scharf geschnittene Gesichtszüge, wasserhelle Augen und eine bräunliche, großporige Gesichtshaut. Im Übrigen roch er nach Heu und Wald.
»Das ist dem Moser sein Franz«, sagte der Bauer und blickte Tibor dabei an.
»Wenn es nach mir geht, sollen die ihren Scheiß Krieg gefälligst ohne den Franz verlieren«, fügte er noch hinzu und wandte dann seine ganze Aufmerksamkeit dem Topf mit dem körnigen, leicht gelblichen Käse zu. Das war der Startschuss für alle anderen, sich ebenfalls nach Lust und Laune zu bedienen, wobei sich aber die Bäuerin zuerst nahm.
Schon vor Wochen hatte der Bauer alle Vorräte aus diversen Schwarzschlachtungen zum Verzehr freigegeben, auch durch die Mägde, da er damit rechnete, dass der Hof sowieso durch Wehrmacht oder SS oder schlussendlich durch die Russen geplündert werden würde.
Das Mahl selbst verlief schweigsam, Essen war schließlich eine überaus ernsthafte Angelegenheit. Kurz nach dem Ende der Mahlzeit wendet sich jedoch der halbwüchsige Franz Moser an den Jungen: »Vor einer Woche haben sie für mich die Einberufung zum Volkssturm gebracht. Mein Herr Vater hat den Brief zerrissen und gesagt, ich soll nicht hingehen.«
Der Bauer schnaubt heftig in Erinnerung daran, wie ihn der Moser-Bauer, sein Nachbar, händeringend gebeten hat, seinen Sohn zu
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