2231 - Der Klang des Lebens
gesprochen. Sie ist ein Kind des Sternenozeans, du eines von Thantur-Lok. Ihr beide habt Aufträge, Visionen, Verantwortungen an unterschiedlichen Orten. Eure gegenwärtige gemeinsame Zeit ist nur geliehen, und du weißt, dass die Zinsen hoch sein werden – zu hoch für eine Sterbliche, möglicherweise, und vielleicht dieses Mal auch für dich. In jedem Fall aber bist du dank deines Chips kreditwürdiger. Deswegen dürft ihr nicht in die Kabine des jeweils anderen ziehen.
Du gehst weiter, die verschlossenen Kabinentüren bleiben hinter dir zurück.
Du weißt, dass es richtig ist, aber wie kann es sich dann so falsch anfühlen?
Es traf alle vollkommen überraschend.
Kurz vor dem Start der SCHWERT fegte wie aus dem Nichts Orkewetter über Tom Karthay und brandete gegen den Fuß des Roedergorm-Gebirges. Die für diesen Flug ausgewählten Quellen saßen bereits auf ihren Plätzen in der obersten Zentraleebene. Nur Zephyda – ausgerechnet die Epha-Motana, die Kommandantin des Bionischen Kreuzers – fehlte noch. Die Naturgewalten schüttelten das Schiff durch, dass es ächzte und knarrte, als wolle die Welt untergehen.
Das Holo zeigte die Umgebung, aber ebenso gut hätte Echophage, der Bordrechner, eine Biotronik, was immer das im Detail nun genau sein mochte, die dreidimensionale Darstellung abschalten können: Außer einer wirbelnden Staubwand war nichts zu sehen.
„Oh, bei allen Schutzherren", wimmerte Bjazia, eine blasse Frau mit großen, ockerfarbenen Augen, die sie gerade zum wiederholten Mal verdrehte. „Wenn das nur gut geht – wenn das nur gut geht, wenn ..." Die anderen Motana warfen einander bedeutungsschwere Blicke zu. Sie alle kannten Bjazia und ihre Eigenheiten, die Zukunft niemals düster, sondern schwarz zu sehen und in jedem Schatten den Vorboten dräuenden Unheils; Situationen wie diese, die auch auf alle anderen bedrohlich wirkten, brachten sie schier außerhalb jeder Vernunft. Bjazia stammte wie die meisten hier von Baikhal Cain, war allerdings nicht in der Residenz geboren, sondern als Findelkind zur Planetaren Majestät gebracht worden. Es war nicht ihre Schuld, doch manchmal, so wie jetzt, überstrapazierte sie die Nerven der anderen.
„Bei Jopahaims Langmut! Erspar uns allen solche Bemerkungen", fuhr Mavrip die Ältere an. „Du bist imstande und machst das Unglück auch noch auf uns aufmerksam!"
Mavrips Worte entsprangen hierbei nicht allein dem Ende ihrer Geduld mit der jammernden Bjazia, sondern vorwiegend einer Art Konkurrenz zwischen den beiden: So, wie Bjazia überzeugt war, augurische Talente zu besitzen, hielt sich Mavrip selbst – als Einzige an Bord übrigens – für eine „Seherin". Und keine der beiden ließ eine Gelegenheit aus, eingetretene Ereignisse mit Hinweisen auf eigene orakelhafte Aussprüche zum Beweis ihrer Talente zu nehmen.
An diesem Morgen hatte Mavrip eine Kostprobe ihres Könnens gegeben: Sie hatte von einem Wahrtraum berichtet, den sie letzte Nacht gehabt hatte. In diesem war ihr ein körperloses Wesen erschienen, das sie entführt und in ein sturmgepeitschtes Meer geworfen hatte, das nicht aus Wasser bestanden hatte. Mavrip war von der undefınierbaren, breiigen Masse unerbittlich in die Tiefe gezogen worden, und als sie zu atmen versucht hatte, war sie in einem Erstickungsanfall erwacht.
Mavrip besaß mittlerweile einige Erfahrung mit ihren Wahrträumen und hatte sich davor gehütet, dessen Bedeutung zu stark im Voraus festzulegen: Er mochte sowohl für etwas Schreckliches stehen, symbolisiert durch den Untergang, ebenso gut aber auch für eine wunderbare, wenngleich schmerzhafte Rettung, schließlich war sie ja wieder erwacht, nicht wahr? Wichtig war gewesen, dass sie den anderen den Traum erzählt hatte, denn nun konnte sie innerhalb der nächsten paar Tage jederzeit wieder darauf zurückgreifen, wenn etwas eintrat, was sich damit verknüpfen ließ.
Bjazia aber legte sich immer wieder fest, versteifte sich auf Negatives – was für eine törichte Frau sie doch sein konnte und dabei doch eine so gute Schwester und respektable Quelle!
Mavrip hoffte, dass bald etwas Positives geschähe, damit letztlich ihr Traum Recht behielte und nicht am Ende noch Bjazias Schwarzmalerei.
„Das Unglück sieht, was es sieht, es sieht, was es sieht..." Bjazia wiegte sich mit geschlossenen Augen in einem unsichtbaren Takt. „Und es sieht... uns."
Mavrip hätte in diesem Moment –und wie so oft würde sie die Schutzherren dafür bald um Vergebung bitten – am
Weitere Kostenlose Bücher