Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
226 - Das Schädeldorf

226 - Das Schädeldorf

Titel: 226 - Das Schädeldorf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mia Zorn
Vom Netzwerk:
Schreibtisch.
    Lann Than gehorchte. Argwöhnisch schaute er sich in dem Raum um: auf dem Schreibtisch ein Stapel Akten, ein Telefon, ein kleiner Elefant aus grüner Jade und ein Bilderrahmen. In der Ecke daneben ein gemütlicher Sessel, eine Stehlampe und ein runder Tisch mit Spitzendeckchen. Darauf ein aufgeschlagenes Buch und ein Kaffeebecher. Sollte das die Folterkammer von King Leuk sein? Und war der Mann am Schreibtisch wirklich der berüchtigte Schlächter des S-21?
    »Du bist Maler?«, hörte Lann Than ihn fragen.
    »Ja.« Than nickte.
    »Kennst du diesen Mann hier?« King Leuk reichte ihm ein Foto über den Tisch. Die Fesseln an seinen Handgelenken klirrten leise, als Lann die Fotografie entgegen nahm. Ein junger Mann lächelte von dem Bild. Er trug einfache schwarze Kleidung und sein schlanker Körper stützte sich auf einen Spaten. Wohl ein Landarbeiter, dachte Lann Than. »Nein, ich kenne ihn nicht.«
    King Leuk war aufgestanden und kam um den Tisch herum. Einige Sekunden blieb er vor Lanns Stuhl stehen. Der Maler versuchte aufrecht zu sitzen. Schweiß trat auf seine Stirn. Angestrengt starrte er zur gegenüberliegenden Wand. Jetzt also war es so weit. King Leuk würde gleich sein wahres Gesicht zeigen. Hoffentlich würde er ihn schnell töten!
    King Leuk beugte sich dicht neben Thans Gesicht. Er roch nach Parfüm. Nach süßem Parfüm. »Das ist Pol Pot, der Führer der Angkar «, erklärte er und nahm dem Maler die Fotografie aus den Händen. »Ich will, dass du Porträts und Büsten von ihm anfertigst!«
    ***
    Juni 1978, Mekong-Delta, Südvietnam
    Sevgil’im sah nicht zum ersten Mal eine Hinrichtung. Dennoch war sie immer wieder entsetzt, mit welcher Selbstverständlichkeit sich die Lungenatmer gegenseitig töteten. Bei dieser hier war es nicht anders: Zwei der einheimischen Soldaten legten ihre Feuerwaffen auf die Schläfen der beiden Gefangenen. Mit ausdrucksloser Miene drückten sie den Abzug ihrer Revolver durch. Kaum waren die Getöteten zu Boden gesackt, steckten sich die Vollstrecker eine Zigarette in den Mund und begannen mit den umstehenden Kameraden zu plaudern.
    »Wieder zwei dreckige Khmer weniger!«, hörte sie einen sagen. Er sagte es zu einem von denen, die die Einheimischen A’mi nannten und die stets auf einer gummiartigen Masse herum kauten. Sevgil’im hatte einmal etwas von dieser Masse mit in die Forschungsstation genommen. Einer der A’mis hatte ihn in den Wald gespuckt. Wie sich im Labor herausstellte, enthielt die Masse Aluminiumoxid, Kieselsäure, Antioxidantien und eine Menge Polyisobutylen.
    Letzteres war interessant: Die Lungenatmer kauten tatsächlich auf Kunststoff herum. Warum sie das taten, blieb den Hydriten ein Rätsel. Aber vielleicht würde ihnen Ytim’len darüber Auskunft geben können. Der Quan’rill lebte seit Jahren unter den Lungenatmern und wurde Lann Than genannt. Ob er wohl heute erscheinen würde? Sevgil’im blickte sich suchend um.
    Wenn nicht, wäre es die vierte Rotation, in der die Hydritenfrau vergeblich am halbjährlichen Treffpunkt auf Ytim’len warten würde. Der Treffpunkt war die hiesige Beobachtungs- und Forschungsstation der Hydriten. Eine unterseeische Transportröhre führte von einer Schleusenstation neben dem Forschungskomplex direkt zur eintausendzweihundert Kilometer entfernten Stadt Karsi’signak am Meeresgrund.
    Ich sollte zur Station zurückkehren, dachte Sevgil’im. Vielleicht hatte Ytim’len ja einen anderen Weg genommen. Doch zunächst hatte sie hier noch eine Aufgabe zu erledigen. Ihre Blicke wanderten über die Leichen auf dem Hinrichtungsplatz hinüber zu den Soldaten, die inzwischen bei dem niedrigen Bauwerk waren, vor dem ein Dutzend Jeeps und Lastwagen warteten. Gemeinsam mit anderen schleppten die Männer Kisten und schweres Geschütz aus dem erst kürzlich eingerichteten Depot. Eifrig beluden sie die Fahrzeuge. Als alles verstaut war, setzte sich die Kolonne in Bewegung. Sie fuhren in Richtung kambodschanische Grenze.
    Das war der Augenblick, auf den Sevgil’im gewartet hatte. Ihr dunkelgrüner Schuppenkörper schlüpfte zwischen den Büschen hervor. Lautlos schlich sie an den beiden Vietnamesen vorbei, die man als Wächter zurückgelassen hatte. Sie hörte die Lungenatmer lachen. Scheinbar hatten sie etwas Besseres zu tun, als aufzupassen. Gut so!, dachte sie und erreichte unbemerkt das Depot.
    Hinter dem offen stehenden Eingang führte eine Treppe nach unten. Über sie gelangte Sevgil’im in einen quadratischen

Weitere Kostenlose Bücher