226 - Das Schädeldorf
Waldboden und das kurze graue Körperfell sträubte sich in ihrem Nacken.
Sie schienen unentschlossen zu sein. Aus verschlagenen Augen fixierten sie die Gefährten. Überlegten sie, welchen von ihnen sie sich als ersten vornehmen sollten? Matt spürte das kühle Metall des Revolvers in seiner Hand. Er schätzte drei von ihnen mit dem Colt Python erledigen zu können. Um den Rest würde sich Aruula kümmern. Aber die Schüsse würde andere Taratzen auf den Plan rufen. Wer wusste schon, wie viele von diesen widerlichen Biestern sich hier noch herum trieben? Nein! Das war zu riskant.
Aus dem Augenwinkel beobachtete er Aruula, die sich bereit machte. »Zieh dich zurück«, raunte er Yann neben sich zu. Als der Seher langsam rückwärts ging, richtete sich die Aufmerksamkeit der Taratzen nur auf ihn.
Aruula reagierte sofort. Sie machte einen Satz vorwärts. Ihre Schwertklinge sauste waagerecht durch die Luft. Zwei der Taratzen sackten mit durchtrennter Kehle zu Boden. Die verbliebenen Angreifer starrten sie böse ein. Sie verständigten sich mit leisen Pfiffen. Schließlich stürzten sich zwei von ihnen auf die Barbarin und einer sprang auf Matt zu.
Der Mann aus der Vergangenheit wich zur Seite aus. Die Krallen der Taratze schlugen ins Leere. Sie wirbelte herum und nahm ihre Beute erneut ins Visier.
»Komm nur!«, knurrte Matt und verzog seinen Mund zu einem Lächeln. Gerade so, dass das Mistvieh seine Zähne sehen konnte. Zufrieden registrierte er, wie die Taratze zögerte. Erst als er einige Schritte auf sie zu machte, duckte sich das Tier zum Sprung. Matt ließ sich schnell auf die Knie fallen. Während der Taratzenkörper zwei Fuß über ihn hinweg glitt, stieß er seinen Dolch zwischen die Rippen des Angreifers. Mit einem hässlichen Quietschen prallte die Taratze zu Boden und verendete.
Matt schaute sich nach Aruula um: Die Barbarin hatte ebenfalls ihre Angreifer erlegt. Während sie ihre Schwertklinge über ein Moosbett zog, lauschte sie aufmerksam in den Wald hinein. »Wir müssen hier weg!«, sagte sie leise. »Die anderen Taratzen sind schon auf der Suche nach diesen hier!«
***
Februar 1978, Phnom Penh, Kambodscha
Man hatte Lann Than in die Hölle gebracht. Eine Hölle mit dem Namen S-21. Ein ehemaliges Gymnasium, das man zu einer riesigen Folterkammer umfunktioniert hatte. Schon allein die Fahrt hierher durch das menschenleere Phnom Penh war für den Maler das Grauen gewesen: Eine Geisterstadt hatten die neuen Söhne Kambodschas aus ihr gemacht. Eine stumme Stadt, in deren Straßenschluchten nur noch das gespenstische Heulen des Windes zu hören war.
Doch weder diese Fahrt, noch die vergangenen Jahre im Arbeitslager waren so unwirklich, so grausam gewesen wie die letzten zwei Monate im S-21. Nackt vegetierte er mit neunundzwanzig anderen Gefangenen in einer Massenzelle des umgebauten Gymnasiums. Ketten waren um ihre Arme und Beine geschlungen. Die schweren Fesseln waren an Eisenstreben befestigt, die man im Fußboden und in den Wänden verankert hatte. Alle Fenster waren bis auf einen handbreiten Spalt zugemauert. Es stank bestialisch. Einmal am Tag wurde eine Schüssel mit Reissuppe vor sie hingestellt und die Eisenstange, an der ihre Hände gefesselt waren, zu Boden gelassen. Wie Schweine über den Trog machten sich dann die Gefangenen über ihre Suppe her. Wem die Schüssel umkippte, musste bis zum nächsten Tag auf eine neue Ration warten. Wasser erhielten sie vor und nach den Verhören.
Fast genauso schlimm war das Warten, ob sie einen holen würden oder nicht. Es existierte scheinbar kein Plan, kein Schema, nach denen die Folterknechte im S-21 vorgingen. Man konnte sich nie darauf einrichten.
Lann Than presste die Lippen zusammen. Die neuen Söhne Kambodschas trinken nicht nur das Blut ihrer Leute, sie rauben ihnen auch ihre Seele, dachte er bitter. Aber bei ihm würde ihnen das nicht gelingen. Seine Seele würden sie ihm nicht rauben können. Denn die Seele eines Quan’rill ließ sich nicht rauben.
Er schloss die Augen und dachte an seine hydritische Schwester Sevgil’im und an seine Heimat Karsi’signak. Und er dachte an jenen Tag zurück, als er Lann Than wurde – vor fünfzehn Jahren, oder fünfzehn Rotationen, wie die Hydriten die Menschenjahre bezeichneten. Damals hieß er noch Ytim’len. Er hatte mit Sevgil’im und einigen Wissenschaftlern aus Karsi’signak eine Beobachtungs- und Forschungsstation in Landnähe eingerichtet. Seine Aufgabe war es, die Lungenatmer, sowie Flora und
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