2267 - Ich, Gon-Orbhon
und ziemlich sicher, über die bessere Kondition zu verfügen. Aber ich will dich nicht quälen, lieber Schlacke. Du brauchst mir nur zu sagen, wo ich den Messingenieur finde und wie ich dorthin gelange, dann gebe ich augenblicklich den Weg frei. Ich helfe dir sogar, die Scherben und die Stängel aufzuheben, wenn du willst."
Wie schon bei unserer ersten Begegnung tat er, als hätte er mich nicht gehört, wich meinem Blick aus und ging scheinbar mit keinem Wort auf meine Argumente ein. Umgekehrt scheute auch ich davor zurück, ihn zu stark zu bedrängen oder gar zu berühren.
Und das sollte sich auszahlen.
Nachdem er noch eine Weile, erfolglos tänzelnd, über die „naseweise, undankbare und lästige kosmokratische Brut" hergezogen hatte, brummte der Pedell, ohne dabei die Stimme zu heben: „... und sollten schon längst oben im Halbstock beim Messingenieur sein anstatt hier das arme unwissenschaftliche Hilfspersonal zu schikanieren aber nein da albern sie blöd rum diese Grünschnäbel wo sie doch bloß in die Vertikale wechseln müssten und richten eine Sauerei nach der anderen an wie wird das noch enden gut dass unsereins hier nichts zu reden hat sonst würden nämlich andere Saiten ..."
Ich hatte genug gehört. Schmunzelnd trat ich beiseite.
In die Vertikale sollte ich wechseln, in den Halbstock, was auch immer sich hinter dieser Bezeichnung verbergen mochte.
Hinauf ... An keiner der Säulen im erforschten Umkreis von etwa zweieinhalb Kilometern waren mir Armaturen oder Beschriftungen aufgefallen, die auf eine Transportvorrichtung wie einen Lift oder Antigravschacht hindeuteten.
Folgerichtig musste es eine andere Möglichkeit geben, in die Höhe zu gelangen. Immer vorausgesetzt, dass der ganzen Anlage eine gewisse Logik innewohnte, konnte eine solch große Fläche -fast zwanzig Quadratkilometer! - unmöglich ohne Verbindung in die Lotrechte auskommen.
Bei etlichen der Säulen begannen die Statuen und Reliefs wenig mehr als zwei Meter über dem Boden. Ich ging zu einer dieser Säulen, wobei ich mich mehrfach in alle Richtungen umschaute. Wie hätte ich auch den fürchterlichen Nick vergessen können!
Aber alles blieb ruhig. Auch Schlacke und die Überreste der Blumenvase waren inzwischen verschwunden. Es herrschte wieder vollkommene, majestätische Stille.
Auf der nämlichen Säule vollführten Dutzende marmorne Nymphen eine Mischung aus Reigen und Ballspiel.
Ihre Arme und Beine ragten aus dem Pfeiler wie Zweigstummel eines versteinerten Baums.
Ich sprang hoch, erhaschte die untersten Vorsprünge mit den Händen, stemmte mich mit den Füßen gegen die Säulenwand. Sie war rau und voller Unebenheiten; ich fand guten Halt. Zügig kletterte ich weiter.
Etwa dreißig, vierzig Meter hoch musste ich gekommen sein, als die Verzierungen aufhörten. Nun sah ich mich einer spiegelglatten Rundung gegenüber, die mir keinerlei Griff oder Tritt bot.
War hier Endstation? Hatte ich wieder einmal einen Fehler gemacht? War es voreilig gewesen, den Andeutungen des Pedells zu vertrauen, nur weil er mir beim ersten Mal einen wertvollen Tipp gegeben hatte? Schnaufend klammerte ich mich an die oberste Frauenfigur. Hatte ich falsch kombiniert, mich buchstäblich verstiegen?
Als ich nach unten blickte, erfasste mich Schwindel. Eine leichte Übelkeit stieg in mir auf. Nicht Höhenangst war die Ursache, sondern die Reaktion meines Gehirns auf einander widersprechende Meldungen des Gesichtssinns und des Gleichgewichtsorgans im Innenohr.
Optische Wahrnehmung und empfundene Schwerkraft korrelierten nicht mehr. Just an dem Punkt, an dem ich mich befand, schien die Gravitation zu kippen. „Unten" war im Begriff, zu „hinten links" zu werden!
Ich fokussierte auf das feixende Gesicht der Nymphe unmittelbar vor mir. Meine Magennerven rebellierten, da ich das äußerst unangenehme Gefühl hatte, gleichermaßen an der Skulptur zu hängen wie auf ihr zu liegen.
Allen Mut zusammennehmend, schnellte ich mich schräg nach „oben" beziehungsweise „vorne".
Ich flog ins Leere. Falls mich meine Intuition genarrt hatte und sich der Gravitationsvektor hier nicht um neunzig Grad drehte, war ein Absturz aus großer Höhe unvermeidbar. Und dabei wäre ich gewiss nicht so glimpflich davongekommen wie beim Zusammenstoß mit dem Wolfsmann.
Aber ich wurde belohnt für das hohe Risiko, das ich genommen hatte. Ich landete mit allen vieren auf der glatten Säule, die nun horizontal verlief, parallel zu unzähligen anderen über, unter und
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