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2285 - Tag der Verkündung

Titel: 2285 - Tag der Verkündung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannt
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enthoben. Am Training nahm sie freilich teil, sie war ja selbst gerade erst wieder fit und einsatzfähig geworden.
    Ansonsten lief alles ab wie üblich. Die Durchsuchung der zwölf Schweber war glimpflicher ausgegangen, als sie zu hoffen gewagt hatten. Bis auf eine billige, leicht zu ersetzende, pseudochinesische Vase aus Mattis Zauberkasten war nichts kaputt. Die Soldaten mussten das Equipment tatsächlich mit Glacehandschuhen angefasst haben.
    Ihre erste Vorstellung würden die „Fliegenden Rochettes" in drei Tagen geben. Früher wäre wenig sinnvoll. Zwar waren die lokalen Medien schon von Wien aus auf das Gastspiel hingewiesen worden. Doch erfahrungsgemäß ging der ohnehin meist bescheidene Rummel erst los, wenn sie persönlich vor Ort weilten und ihre Attraktionen persönlich anpreisen konnten.
    Diese Aufgabe fiel vor allem Matti und Sirene zu. Die Übrigen hatten wenig zu tun, außer die Tiere im Streichelzoo zu betreuen und sich selbst in Form zu halten.
    Ashanty hatte daher ihre Kollegen gebeten, sich in der Freizeit ein wenig umzuhören und die allgemeine Befindlichkeit auszuloten. Ganz dezent und unauffällig natürlich, so, wie es jeder täte, der neu in der Stadt war.
    Diesen Wunsch erfüllten sie gerne. Die „Rochettes" schwärmten aus, einzeln oder in Kleingruppen. Gertraudis wollte das Ertruser-Viertel aufsuchen, Liram mit Obacht die Museen besichtigen. Tunc und zwei der Trampolinspringer zog es eher in die nicht so gut beleumundeten Hafenspelunken und so weiter. Fryzzil stattete wie immer den Musikalienläden einen Besuch ab; und Picco, dessen Fußfessel dafür kein Hindernis darstellte, unternahm einen Bootsausflug nach Capri, um sich zu vergewissern, dass dort die rote Sonne auch pflichtgemäß im Meer versank. Über ihre eigenen Vorhaben ließ Ashanty nichts verlauten. Jedenfalls blieben Babett und ihr Schatz allein zurück.
    Was ihnen sehr wenig ausmachte.
     
    Elfte Attraktion: Begnadete Körper
    9. bis 14. April 1333 NGZ
     
    59.
     
    Drei Tage später war Homer so weit gesundet, dass er aufstehen und seine Rolle als Fryzzils Assistent und Faktotum des Circus Rochette wieder übernehmen konnte.
    Zwischen den beiden erstaunlicherweise ausverkauften Premieren hielt er mit Mondra Kriegsrat.
    Unter vier Augen; die anderen würden sie erst mit hineinziehen, wenn es sich nicht mehr vermeiden ließ.
    Das Bild der Lage in Neapel, wie sie es aus den Berichten der Ensemblemitglieder zusammensetzten, war seltsam zwiespältig.
    Einerseits litten viele der Alteingesessenen unter dem Joch, in das Garlosch Imberlock sie unbarmherzig spannte. Gon-Os diktatorische Macht war hier noch viel prägenter und spürbarer als an jedem anderen Ort der Erde. Das begann mit dem Titanen, der die Sonne verdunkelte, und endete in den Wohnzimmern der Großfamilien, wo der Ehemann der Ehefrau und die Enkelin dem Großvater misstraute.
    Wer war übernommen, wer nicht? Wer würde den anderen denunzieren, und sei es nur, weil er sich von dessen Verschwinden einen Vorteil versprach? Jedes Wort wurde auf die Goldwaage gelegt - wenn man denn überhaupt noch mehr als das Nötigste miteinander sprach.
    Unzählige Patrouillen durchstreiften die Straßen, fielen beim geringsten Anzeichen einer Unregelmäßigkeit in die Häuser ein. Ohne Durchsuchungsbefehl - die Bürgerrechte waren de facto außer Kraft gesetzt. Über den Dächern schwirrten Trauben von Kybb-SPORNEN und Kampfgleitern, wie mit tödlichen Stacheln bewehrte Hornissen aus einem sechzehn Kilometer durchmessenden Nest.
    Mit hilfloser Wut mussten die Neapolitaner hinnehmen, dass ihre eigene, demokratisch gewählte oder aufgrund uralter Traditionen akzeptierte Führungsspitze unter dem Einfluss Gon-Os jegliches Augenmaß eingebüßt hatte. Ob Politiker oder Vereinspräsidenten, Wirtschaftsmagnaten oder Paten der Camorra - alle fügten sich wohl oder übel den Befehlen aus dem Tempel der Degression.
    Imberlock und seine vierzehn Adjunkten forderten der Stadt, die sie kampflos in Besitz genommen hatten, das Letzte ab. Auf den Baustellen wurde rund um die Uhr geschuftet, um alles rechtzeitig für den „großen Tag" fertig zu stellen: für den Tag der Verkündung, an dem der Gott Gon-Orbhon leibhaftig vor seine Jünger treten und das Urteil verkünden würde, das er über die Menschheit gefällt hatte.
    Wer sich nicht widerspruchslos ausbeuten ließ, sondern gegen die neue Sklaverei aufbegehrte, und sei es nur verbal und aus purer Verzweiflung, wurde von den stachelhäutigen

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