2289 - Der eiserne Finger Gottes
Gemahlin. Unter den zahlreichen Edlen befand sich, wie Tum schätzte, mindestens fünf weitere Mitglieder der geheimen Bruderschaft der Eisensucher. Die Obleute des Rats von Grachtovan waren gekommen und die beiden Sprecher des Reichsrats, die „Kriegsherren", die Streitkräfte und Büttel befehligten, und alle wichtigen Wissenschaftler des Gottesreichs: Tulaqi-Tanda, der immer bessere Zeitmesser zu bauen versuchte; der Meister der Linsen Abuga-Doros, dessen Fernrohre der Edle von Taraon vielleicht allzu gründlich verwendete; die Weltmesser und Kraftkundler und Luftverdichter, die Fahrzeugtüftler und Verfertiger künstlicher Lossos, mit deren Hilfe sie irgendwann auf dem Wind reiten wollten; die Erfinderin der wieder verwendbaren beweglichen Schriftzeichen, die alle Abschreiber von Büchern überflüssig machen würden ...
Geon-Durn von Taraon begann seinen Vortrag; nachdem alle gesättigt und durch Andeutungen ausreichend neugierig waren.
Zunächst ging alles gut. Er sprach von der Geschichte, den Überlieferungen „aus jenen fernen Tagen, da wir noch schnelle Raubtiere waren und die Sesshaftigkeit des Denkens und Forschens uns fremd war".
Dann kam er zu den Problemen der Weltvermessung. Immer wieder unterbrochen durch Frager - Tum wunderte sich ein wenig darüber, dass Taban-Tselayu, Freund des Herrn, ihn durch scharfe Fragen immer weiter auf gefährliches Gelände trieb oder lockte - ,legte Geon-Durn dar, wie man vorangeschritten sei: von der Annahme, die Welt sei eine Scheibe, zur Gewissheit, dass es sich um eine Kugel handle, zu deren Erforschung und Vermessung, zu Reiseberichten, in denen Seefahrer beschrieben, wie sie nach Westen segelten und von Osten zurückkamen und dabei so weit nach Süden gerieten, dass mittags die Sonne nicht über ihnen, sondern weit im Norden stand.
Nachdem er ausgiebig aus anderen Büchern vorgetragen hatte, wie die Bewohner der entlegenen Kontinente die gegenseitige Entdeckung betrachteten, kam er zu den wichtigen Karten.
Tum hatte eine der gewöhnlichen Weltkarten hochzuhalten. Er stand am Kopfende der langen Tafel, neben Geon-Durn, der auf einzelne Punkte aufmerksam machte und dann die Frage des Äquators erörterte. Da Tum die Karte mit gereckten Armen hochhielt, konnte er die Gesichter der Gäste nicht sehen. Aber er hörte hier und da leises Grollen und Getuschel, und er roch, dass sich sein Herr - mit unveränderter Stimme - in Begeisterung redete.
„Diese Karte", sagte Geon-Durn, „die einzige, die in Grachtovan erlaubt ist, stimmt also nicht. Die mächtigen nördlichen Reiche haben sich darauf geeinigt, den Längengrad null zwischen ihren Kontinenten durchs Meer verlaufen zu lassen, und Wissenschaftler aller bekannten Länder haben wie wir, wie ich, den Umfang unserer Erde, ihre Bahn um Dyon, ihre Neigung, die Jahreszeiten genauer berechnet. Und die Lage des Äquators. Tum, nehme Er die andere Karte."
Tum gehorchte. Als er die neue Karte entrollt hatte, wurde das Gemurmel und Getuschel im Herrensaal lauter; hier und da lachte jemand, andere knurrten oder stießen gedämpfte Verwünschungen aus.
„Wir könnten uns nun", sagte Geon-Durn, als es ein wenig leiser geworden war, „viele Fragen stellen. Zum Beispiel warum wir, das Gottesreich, nicht wie alle anderen großen Länder an einem Meer oder wenigstens einem wichtigen Fluss liegen, sondern in der Wüste.
Ohne Verbindungen zur übrigen Welt - jedenfalls fast; wir haben keine Häfen, keine Schiffe, keine Flussboote, sondern lediglich ein paar Karawanen. Dadurch verzichten wir ..."
„Auf Beschmutzung durch andere", sagte die knarrende Stimme von Sarrukhat. „Mit denen wir uns erst abgeben sollten, wenn auch sie zu einem wahren Glauben gelangt sind."
„Ich wollte, Heiliger, vom Verzicht auf Kenntnisse und Reichtümer sprechen. Vom Verzicht auf Macht, der sich daraus zwangsläufig ergibt. Auch vom Verzicht auf die Macht, diesen wahren Glauben durchzusetzen. Wenn er ..." Geon-Durn machte eine kurze Pause, „... wenn er denn wahr wäre. Aber er ist falsch."
„Wer wagt es ...?", rief jemand.
Taban-Tselayu, der schon bei den geographischen Ausführungen mehrmals Geon-Durn durch bohrende Fragen zu allzu genauen Aussagen gebracht hatte, schrie über den Lärm der anderen hinweg: „Das müsst Ihr erläutern und belegen!"
Als es etwas stiller geworden war, sagte Geon-Durn; „Ich will es versuchen. Wenn Ihr alle, Edle und Heilige, mir lauschen mögt."
„Mögen wir nicht", sagte ein anderer Priester.
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