2289 - Der eiserne Finger Gottes
fühlen.
Dann schüttelte er sich, knurrte leise und ging die Treppe hinauf. Alberne Gedanken, sagte er sich. Er war der Edle von Taraon, ein Wissenschaftler mit Vermögen und Einfluss, Mitglied des Reichsrats. Die anderen Edlen würden es nicht zulassen, dass ihm etwas geschah.
Aber Taban-Tselayu ... Wenn der alte Freund ihn so in die Falle trieb, was mochten dann andere tun? Konnte er sich wirklich auf sie verlassen, auf die Edlen und die Bruderschaft der Eisensucher?
Entschlossen verdrängte er diese Überlegungen. Es gab nur eine Möglichkeit, es herauszufinden: abzuwarten. Und nur eine Möglichkeit, diesen scheußlichen Tag zu einem erträglichen Ende zu bringen.
Auf dem obersten Absatz drehte er sich um und klatschte in die Hände. Weiter unten erschien eine der Mägde.
„Herr? Euer Begehr?"
„Hy'valanna soll mir die Flasche Bergblut bringen", sagte er. „Auf der Anrichte im Herrensaal."
„Sofort, Herr."
Er betrat seine Gemächer und warf das teure rote Gewand ab. Vielleicht sollte ich es verbrennen, dachte er, es wird mich immer an diesen Abend erinnern.
Eine Weile starrte er aus dem Fenster, in den Himmel. Die grelle Sternenschale, an der - davon war er absolut überzeugt - das Weltall endete, und die fünf rötlich strahlenden Monde ... Ah, wenn er sich doch nur in diese Lichtflut ergießen, in ihr auf- und untergehen könnte!
„Euer Wein, edler Herr."
Hy'valanna hatte geräuschlos den Raum betreten. Er wandte sich vom Fenster ab und betrachtete sie. Und wie immer, wenn er sie ansah, wurde die Welt eng, bis sie nur noch aus dieser Frau bestand. Oder sie weitete sich, und Hy'valanna war ihr unermesslicher Mittelpunkt.
„Hast du ..." Seine Stimme war belegt; er brach ab und räusperte sich, aber es war eher ein gieriges Knurren. „Hast du den Wasserstand geprüft und den Weinkeller gut verschlossen?"
Ihre Augen weiteten sich kaum merklich. „Nein, Herr, aber wenn Ihr es wünscht, werde ich es sofort erledigen."
„Ich wünsche es." Leise setzte er hinzu: „Sehr. Hier ist der Schlüssel."
Hy'valanna nahm ihn, verneigte sich und ging hinaus.
Geon-Durn brachte den kleinen gelben Ball an der Außenseite der Tür an, der allen unter allen nur denkbaren Umständen untersagte, ihn zu stören. Er schloss die Tür ab und ging in das kleine Bad. Dort reinigte er sich mit dem kostbaren Wasser und benetzte sich hier und da mit der Essenz der Lizarri-Blüte.
Nackt und erfrischt begab er sich in die kleine Bibliothek. Als er sicher war, dass niemand ihn aus den Zweigen der Zezo-Bäume beobachtete, verschob er im zweiten Regal zwei bestimmte Bücher und drückte gegen die rechte Seite des Regals, bis es sich so weit gedreht hatte, dass er die dahinter befindliche Öffnung betreten konnte.
Nach wenigen Atemzügen hatten sich seine Augen ans Dunkel gewöhnt. Lautlos huschte er die schmalen Stufen hinab. Aber die Wände waren so dick, dass niemand ihn hätte hören können, selbst wenn er an den Zehen kratzende Krallen geduldet hätte.
Die untere Drehtür war bereits geöffnet. Er schob sie hinter sich zu und durchquerte das Weinlager. Es war durch eine dicke Tür gesichert - weder die teuren Weine noch die teuren Vorräte an Gold- und Eisenmünzen sollten den Dienern und Sklaven zugänglich sein.
Dahinter, nur durch diese Schatzkammer zu erreichen, lag eine weitere Kostbarkeit: Reisig.
Holz musste von weit her gebracht werden; es zu verbrennen war vom Tempel untersagt.
Wer einen gesunden Zezo-Baum fällte (und andere wuchsen in Grachtovan kaum), verfiel der Zerfleischung. Reisig, mühsam gesammelt und herbeigeschafft, durfte man verbrennen - wenn man es nicht unterlassen konnte.
Dung, mit Stroh vermischt. Trockenes Moos. Und Reisig. In kargen Jahren wog man es mit Kupfer auf, in der Wüste, und manchmal dachte er an jene fernen Tage, da man zum Kochen noch nicht das Gas der Abfallgruben und Latrinen genutzt hatte. Man hatte nicht gekocht.
Tage, Jahrhunderte her, da man alles - oder fast alles - roh gegessen hatte.
Nur Geon-Durn selbst hatte einen Schlüssel zur schweren Tür vor den Schätzen. Manchmal gab er ihn Tum, wenn dieser etwas holen sollte. Manchmal benutzte er ihn selbst. Manchmal gab er ihn Hy'valanna. Es gab einen zweiten Schlüssel, gut verborgen, für Notfälle, wie immer diese aussehen mochten.
Auf den Reisighaufen hatte Hy'valanna Decken gelegt. Dort erwartete sie ihn. Einen Moment barg er das Gesicht in ihrem Schoß, atmete den schwindelerregenden Duft und stieß ein tiefes
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