2298 - Bericht eines Toten
beendet hatten. An dem er wieder einmal der Herr über Leben und Tod gewesen war.
Warum die SHARIN?, dachte Khodan. Warum dieses kleine, unbedeutende Schiff?
Ganz einfach. Weil es zufällig an Ort und Stelle gewesen war. Und weil der Resident ein Zeichen setzen wollte. Nicht nur er hatte die Menschheit gerettet, sondern jeder Einzelne, der seine Befehle befolgt hatte und dabei vielleicht in den Tod geflogen war.
Oder überlebt hatte wie Borak und seine Crew.
Die Zeremonie spendete Rhodan nicht den geringsten Trost, aber vielleicht war es ja ein kleiner Trost für die Kameraden, ihren Verstorbenen auf dem Weg ins Grab einen letzten Gruß mitgeben zu können.
Und den wollte er den Überlebenden geben. Auch wenn er keine Kraft mehr hatte, vielleicht gab seine Anwesenheit ihnen neue Kraft.
Rhodan blinzelte heftig. Tränen brannten in seinen Augen, und er wollte nicht, dass die anderen sie sahen.
Er brachte kein Wort über die Lippen, hatte nicht einmal mehr die Kraft, die Gedenkrede zu halten. Diese Aufgabe fiel dem Kommandanten der Korvette zu. Rhodan fragte sich, ob die alte Kraft jemals zurückkehren würde. Ob er nach diesem 27. Mai 1333 NGZ je wieder der sein konnte, der er einmal gewesen war. „Stellvertretend für alle, die heute ihr Leben für Terra und die Menschheit gegeben haben, wollen wir Abschied nehmen von Dares Aramo, Sanoar Gamint, Harinta Ontramo ..." Borak zählte zehn Namen auf. Zehn Tote, die sie aus Beibooten oder Rettungskapseln geborgen hatten. Die Kybb hatten keine Unterschiede gemacht, niemanden verschont, auch die Wehrlosen nicht. „Resident ... wenn ich bitten darf?"
Rhodan schloss kurz die Augen. Dann öffnete er sie wieder und nickte Borak zu. Plötzlich sahen alle zu ihm.
Mit einem Knopfdruck ließ er die mit terranischen Flaggen geschmückten Särge ins All gleiten. Zehn Kapseln traten ihren langen Weg zur Sonne an.
Er wusste, er musste etwas sagen, doch er musste sich dazu zwingen. „Der Dank des terranischen Volkes begleitet euch."
In solch einem Augenblick konnte es nur leere Worte geben.
Doch auf den Gesichtern der hartgesottenen Veteranen glänzten die Tränen. Rhodan sah ihnen in die Augen, sah den Schmerz, den er ebenfalls fühlte und der ihn aufzufressen schien.
Die Erde dreht sich weiter, als wäre nichts geschehen. Merkt sie denn nicht, dass so viele fehlen? Dass sie alle nicht mehr da sind? Es waren Zeilen eines alten Liedes, die ihm durch den Kopf gingen. Sie waren so wahrhaftig. So endgültig wie viele Dinge, die nicht sein sollten.
Er gab Borak die Hand. „Danke, Kommandant. Den Holowürfel mit der Aufzeichnung der Zeremonie werde ich den Verwandten zukommen lassen."
Er verstummte. Was hätte er noch sagen sollen? Dass man im Gedenken an Dares Aramo, den er niemals gekannt hatte, eine Tafel in der Stahlorchidee aufstellen würde? Vielleicht war die Solare Residenz groß genug, dass man für jeden Gefallenen eine Tafel errichten konnte, doch dadurch wurden sie auch nicht wieder lebendig.
Rhodan dachte an die Solare Residenz, in der er bald, wohl schon morgen, Rechenschaft über diesen Tag ablegen musste, vor dem Parlament, vor den Überlebenden, und hoffte, dass seine Kraft dann zurückkehren würde.
Er atmete tief ein. Plötzlich war ihm klar, dass er die Trauer dieser Stunde überwinden würde.
Wenn auch nur, weil die Menschheit ihn brauchte in diesen Tagen und den kommenden und den nächsten Monaten und Jahren, in denen sich vielleicht die Prophezeiung erfüllen würde, dass sich in Hangay, der kosmisch gesehen unmittelbaren Nachbarschaft der Milchstraße, eine Negasphäre bilden würde.
Und genauso klar war ihm, dass er dann erneut der Herr über Leben und Tod sein würde.
Er schickte ein stummes Gebet zum Himmel, in dem die Positionslichter unzähliger Raumschiffe wie ferne Sterne funkelten, eine Bitte um die nötige Kraft.
ENDE
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