23 - Im Reiche des silbernen Löwen IV
Bootslängen weit durchbrochene Finsternis die Frage auf, ob dieses Wasser wohl als lebenspendendes Element oder aber als verschwiegener, düsterer Helfer des Todes betrachtet worden sei.
Bereits über achtzig Meter waren wir vorgedrungen. Der Duar lag droben hinter uns. Wir mußten uns ungefähr an der Stelle befinden, wo draußen, auf fester Felsenunterlage, die Zyklopenmauer begann. Da hörten hier unten die behauenen Quader auf; der Kanal wurde noch breiter und höher, so daß wir die Ruder bequem ausstrecken und rühren konnten, und die Wände bestanden aus dem mühsam durchbrochenen Gestein des Berges. Die Decke war gewölbt.
Hierauf kamen wir an einen Seitenkanal, welcher rechtsab führte, und lenkten in ihn ein. Er war genau so breit und so hoch wie der Hauptkanal, aber nicht lang. Auch hatte man sich bei der Herstellung weniger Mühe gegeben. Die rechte Seite war Naturgestein, die linke aber Mauer, aus Riesenblöcken aufgeführt, doch nichts weniger als glatt behauen. Es gab hüben wie drüben hervorragende Ecken, Kanten und Spitzen, welche nicht beseitigt worden waren. Da, wo dieser Seitenkanal aufhörte, wich die Decke plötzlich zurück. Wir sahen in eine dunkle Öffnung hinauf, deren Höhe nicht abzuschätzen war, weil unser Licht sich hierzu als unzulänglich erwies.
„Was mag da oben sein, Effendi?“ fragte Kara. „Ich sinne darüber nach, wo wir uns jetzt wohl befinden. Unter den Ruinen jedenfalls, aber an welcher Stelle?“
„Ich habe soeben auch im stillen gerechnet“, antwortete ich. „Wenn ich morgen am Tag in den Ruinen nachrechne, werde ich es wissen. Auf dem Rückweg nachher werde ich die Steine, die alle von gleicher Länge und Höhe sind, genauer zählen. Jetzt schätze ich nur so ungefähr, daß grad über uns der unterste Urbau liegt, in dessen Vordermauer die kleinen Öffnungen sind, welche wahrscheinlich Fenster bilden sollen. Ich schließe das auch aus dem Umstand, daß dieser Bau auf derselben Gesteinsart liegt, aus welcher hier die rechte Seite des Kanals besteht. Die Steine der linken Seite habe ich gezählt. Ich werde es mir notieren.“
Ich nahm mein Buch aus der Tasche, um mir diese Anmerkung zu machen. Da sagte Kara, indem er nach oben wies:
„Dort hängt etwas an einer Spitze im Gestein. Es sieht genauso aus, als ob jemand von da oben, wo hinauf wir nicht sehen können, heruntergestürzt sei, wobei ein Fetzen seines Gewandes dort losgerissen und festgehalten worden ist.“
Ich schaute hinauf. Es war so. Der hängen gebliebene Fetzen war ganz mit Kalksinter überzogen und also nicht vermodert.
„Mich schauert, Effendi!“ fuhr Kara fort. „Wenn dieses finstre Loch da oben in der Decke erzählen könnte, wie viele hier in diesem dunkeln, eiskalten Wasser sterben mußten – – – Laß uns umkehren! Mich friert!“
Wir griffen zu den Rudern und brachten uns in den Hauptkanal zurück, welcher nur noch eine kurze Strecke weiterführte und dann auf ein großes, unterirdisches Wasserbecken mündete, an dessen südlichem Ende wir uns befanden. Die Decke war so hoch, daß wir sie bei unserem schwachen Licht nicht sehen konnten. Zu unserer linken Hand verlor sich die natürliche Felswand dieses Bassins in tiefe Dunkelheit. Rechts lag die unbewegte und scheinbar ununterbrochene Flut in drohender Finsternis. Die Luft war feuchter als vorher, beinahe nässend und von einer moderigen Schärfe, als ob sich hier Fäulnisprozesse abgespielt hätten, die nun zwar vorüber waren, doch ohne daß der stechende Duft der Verwesung sich vollständig niedergeschlagen hatte. Das war nicht gut zu atmen, doch auszuhalten immerhin. Dabei brannte die Fackel ziemlich hell. Es mußte irgendwo eine Stelle geben, durch welche dieser unheimliche Raum mit der äußeren Atmosphäre in Verbindung stand.
„Das stinkt wie alte, nasse Gräber!“ sagte Kara, indem er sich schüttelte. „Mich friert jetzt noch mehr als dort. Ich habe das Gefühl, als müßten in dem Wasser unter uns nur lauter Leichen liegen! Was tun wir jetzt, Effendi?“
„Wir untersuchen dieses Wasserbecken.“
„Meinst du, daß wir uns zurückfinden werden?“
„Ja.“
„Du hattest aber doch Sorge! Das zeigt die Weisung die du Schakara erteiltest.“
„Ich dachte dabei an ein Unglück durch schlechte, erstickende Luft. Wir können aber doch atmen, und diese natürliche Höhlung ist doch wohl nicht so groß, daß man sich trotz aller Aufmerksamkeit in ihr verirren müßte. Wenn wir bedächtig vorgehen, kann uns
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