23 - Im Reiche des silbernen Löwen IV
Der Ustad schreibt ja Bücher! Ein einziges Buch von ihm, mit den Beweisen, die ich bringe, ganz so, wie sie es mit ihren Fälschungen wollten, dem Schah-in-Schah vorgelegt und über das Reich verbreitet – was würden für sie wohl die Folgen sein!“
„Das habe ich bereits gewußt, denn ich bin beiden schon lange auf der Spur.“
„Spur, nur Spur! Was ich dir bringe, sind nicht bloß Spuren, sondern Beweise, Handschriften, Briefe, Dokumente. Diese vernichtenden Waffen liegen bei mir drüben in den Ruinen. Die eine Partei war zu aufrichtig mit mir; die andere hielt mich für dumm. Nun habe ich beide in den Händen. Ich hole dir alles herüber, um sie dir auszuliefern. Dann mache mit ihnen, was dir beliebt, Effendi. Man ging auf Fälschungen aus, um sagen zu können, daß man euch entlarve. Nun sollt aber ihr entlarven können, ohne fälschen zu müssen, denn was ich euch gebe, ist echt!“
„So bringe es mir! Aber nur dann wenn es dein Gewissen erleichtert! Ich finde auch ohne Verrat die sämtlichen Blößen des Gegners.“
„Das traue ich dir wohl zu; ich erfahre es ja an mir selbst! Aber Spuren sind doch nur Spuren. Laß mich jetzt zu dir reden; dann wirst du deutlich sehen!“
„So komm heraus ins Freie! Diese Zimmer sind mir zu heilig für solche Dinge –“
Wir gingen auf die Plattform und setzten uns da nieder, genau so, wie ich im Traum mit dem ‚Zauberer‘ gesessen hatte. Und wie dieser, so begann nun auch der Aschyk zu erzählen. Ein Menschenleben nur, und aber doch ein Menschheitsleben! Vom ‚Zauberer‘ hatte ich erfahren, warum es Schatten geben muß. Heut nun erfuhr ich, wie diese Schatten wirken und wie man sich verhalten sollte, um sie so klein wie möglich zu machen. Dieser Aschyk hatte im tiefsten Schatten unserer Feinde gelegen und sie genau studiert. Er schonte sich selbst nicht im geringsten, aber er schonte auch keinen anderen. Und als er fertig war, lag nicht bloß er allein, sondern lagen auch alle die, von denen er gesprochen hatte, so durchsichtig vor mir, daß ich sie nun wahrscheinlich besser kannte als er selbst. Hierbei befriedigte es mich, daß sich alle meine Vermutungen als richtig herausstellten. So war er es auch wirklich gewesen, der die sechs Fremden drüben in der Mäjmä-i-Yähud belauscht hatte, und er berichtete mir jedes Wort, welches von ihnen gesprochen worden war.
Nun stand er von seinem Sitz auf.
„Fertig – für heut!“ sagte er. „Jetzt kennst du mich mit allen meinen Sünden; nun sprich mein Urteil aus! Das meinige habe ich da unten gefällt, im Wasser, auf dem Stein. Mit Allah habe ich da drüben in eurem Beit-y-Chodeh gesprochen. Ich glaube, er verzeiht. Wende dich hinüber, und lausche!“
Es hatte sich im Osten ein starker Morgenhauch erhoben; der wehte durch den offenen Rosenpark und brachte dann den Duft zu uns herüber.
„Das soll mir von da drüben Antwort sein!“ nickte der Aschyk. „Und nun noch du! Du bist ein Christ; ich bin ein Muselmann; so sprich als Mensch nun deine Erkenntnis aus. Die Menschheit sollst du nicht etwa vertreten; die kenne ich; ich mag sie gar nicht hören! Sprich zu mir als der Mund des Menschentums; die Menschlichkeit ist's, die ich hören will. Und was du sagst, soll über mich entscheiden!“
Da hielt ich ihm meine Hand hin und sprach:
„Greif zu! Die Menschlichkeit, die du jetzt hören willst, hat schon durch mich gesprochen: Ich verzeihe!“
„Ganz?“
„Ganz!“
Erst jetzt faßte er zu. Er hatte mit gesenktem Kopfe vor mir gestanden; nun hob er ihn empor und sagte:
„Da drüben, unterhalb des Tempels, habe ich vor dir gekniet. Ich tat es gern, denn dort war ich Verbrecher. Jetzt aber bin ich wieder Mensch. Ich darf dir also frei ins Antlitz sehen und kann dir danken, ohne mich zu beugen. Sag mir, was hast du über mich beschlossen?“
„Nichts. Du bist frei, dein eigner Herr!“
„So kann ich gehen – in diesem Augenblick – sofort?“
„Ja.“
Da trat er an die Balustrade vor und sah hinab zum See, dann weit hinaus. Hierauf drehte er sich wieder zu mir um, räusperte sich wie verlegen und sprach:
„Effendi, gewähre mir das Glück, das allergrößte, welches es für mich hier bei dir geben kann!“
„Wenn es mir möglich ist, wohl gern.“
„Ich möchte nach so langer, langer Zeit gern wieder einmal fühlen, wie es ist, wenn ein Mensch dem anderen vertraut. Verschließt du hier diese Tür, wenn du dich schlafen legst?“
„Nein.“
„Das Fenster?“
„Auch
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