23 - Im Reiche des silbernen Löwen IV
beichten – beichten – beichten! Ich will nicht nur, sondern ich muß – ich muß – ich muß!“
„Doch wieder wohl nur Lügen!“ sagte ich.
„Lügen? Hier? Effendi, hier hat jede Lüge entweder zum Wahnsinn zu werden oder sich in Wahrheit zu verwandeln. Außer diesen beiden gibt es kein drittes. Nun prüfe, ob ich wahnsinnig geworden bin! Wenn nicht, so ist nur Wahrheit zu erwarten!“
„So sag vorerst, wie du zu dieser mir ganz unverhofften Ruhe kommst!“
„Wie – – –? Welch eine Frage! Wenn nicht hier, wo soll man dann wohl ruhig werden! Hier wird ja alles, alles, jedermann zu Stein! Entweder zum gemeinverkalkten Tod, oder zum edlen Alabaster, an dem die aus dem Kalk erlösten Geister arbeiten, bis er – beten lernt! O, Effendi, ich schlief hier ein, ermüdet vom Rufen, Schreien, Brüllen. Da kam ein Traum – ein Traum! Ich hatte tausend Jahre, tausend Jahre lang hier im Wasser gelegen, verhärtet und verkalkt in meinen Sünden. Niemand wollte mich retten, und ich selbst konnte es nicht. Da kam ein Ruf von oben, einmal – zweimal – dreimal; der weckte mich. Ich antwortete, daß alle Säulen klangen. Da war es oben still; aber in mir, in mir, tief unten, da wurde es laut und laut und immer lauter! Da kamen die Tage meines Lebens, einzeln, furchtbar einzeln, einer nach dem anderen! Sie klagten mich nicht an, nein nein, nein, nein! Das tat ich ja schon selbst! Sie gaben gute Worte! Ein jeder, jeder, jeder von ihnen kniete im Büßergewand neben mir nieder, griff nach meiner Hand und drang in mich, mit ihm zu beten, zu beten, zu beten! Und als sie alle um mich lagen, alle, alle, vom ersten bis zum letzten, da kniete ich inmitten meines Lebens und faltete die Hände wie sie alle. Und als ich sprach: ‚Vergib mir meine Sünden!‘ da hörte ich erst eure Ruderschläge und dann sah ich auch eures Lichtes Schein! Was ihr mir bringt, das habe ich zu nehmen. Doch bitte ich, seid nicht auch ihr von Stein!“
Als er geendet hatte, lauschte ich noch immer. Es war, als ob das, was aus ihm gesprochen hatte, nun in mir weiterrede. „Tausend, tausend Jahre hier im Wasser gelegen!“ hatte er gesagt. Nur zwei Erdentage für den Geist, die Seele aber tausend, tausend Jahre! Welcher Mensch kann behaupten, gerecht zu richten! Der Buchstabe des Gesetzes behandelt alle gleich. Aber die Gerechtigkeit liegt nicht im gleichen Strafquantum; in diesem ist vielmehr ihr Gegenteil, die Ungerechtigkeit zu suchen. Denselben Tatbestand vorausgesetzt, wird der eine nicht durch zwanzig Jahre Zuchthaus gebessert, der andere aber schon durch einen einzigen Tag Gefängnishaft. Hätte für den letzteren dann nicht die Strafe aufzuhören? Es war von mir die fürchterlichste Strenge gewesen, den Aschyk hierher an diesen Ort zu bringen. Ich sah und hörte jetzt, daß es genau die beabsichtigte Wirkung hervorgebracht hatte. Eine Verlängerung seiner Qual wäre nicht nur Grausamkeit, sondern geradezu Unmenschlichkeit gewesen. Darum antwortete ich ihm jetzt:
„Der Menschheitsjammer muß sogar den Stein erbarmen, warum nicht auch den Menschen selbst! Wenn du gebetet hast, so ist mein Zweck erreicht. Ich führe dich hinaus.“
„Das wolltest du? Du, du, der von mir betrogen werden sollte, wie kaum vorher ein anderer?“
„Was du an anderen tatest, das habe nicht ich zu richten. Was du mit mir vorhattest, da sei dir gern vergeben. Hier hast du meine Hand. Komm herab!“
Ich richtete mich auf und streckte sie ihm entgegen, um ihm herabzuhelfen. Er griff nicht sofort zu, er sagte:
„Warte noch, Effendi! Ich habe dir doch vorher zu beichten!“
„Nicht hier! Hier hattest du nur dir allein zu beichten. Nun wartet draußen jetzt ein anderer auf dich.“
„Ein anderer?“ fragte er schnell. „Effendi, reicht dein Blick in mein Inneres? Wenn ich in den Ruinen stand und drüben euren Tempel stehen sah, so lachte ich der Albernheit, die solche Häuser baut für einen, den es nie gegeben hat und niemals geben werde. Hier aber griff er in die Finsternis und stellte meine Seele vor mich hin, die ich mir aus der Brust gerissen und weggeworfen hatte. Da kam ein Drang, ein Sehnen über mich, ein innerlicher und doch lauter Schrei nach diesem Tempel. Er klingt noch jetzt, laut, überlaut, Effendi. Erhöre ihn! Laß uns hinauf zum Beit-y-Chodeh steigen! Das ist der einzig rechte Ort zum Beichten!“
„So komm!“
Er griff kniend nach meiner wieder ausgestreckten Hand, küßte sie und kletterte dann herab in das Boot. Als
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