23 - Im Reiche des silbernen Löwen IV
imstande, deine Güte in ihrer ganzen Tiefe zu wiegen und zu wägen. Ich gehörte nicht zu den Armen und Elenden des Landes. Ich war berufen, gut und groß zu werden. Mein Vater stand hoch, in nächster Nähe des Schah-in-Schah. Ich eiferte ihm nach, und er hatte seine Freude an mir. Da kamen sie, vom Schlage derer, die bei dir waren, um sich einen Ustad der Taki-Kurden zu erschwindeln. Ich war zu jung, sie zu durchschauen. Sie brauchten mich, und darum mußte ich sinken, tiefer, immer tiefer, bis ich im Wasser des Verbrechens untersank. Schon war ich am Ertrinken, da kamst du und holtest mich heraus – in Liebe, in Liebe! Du kennst die Menschenseele, Effendi! Wie ich dir danke, werde ich nicht sagen, sondern – – – zeigen!“
Er stand wieder auf und ging den Tempelpfad hinan. Wir aber setzten uns nieder, um zu warten. Kara war einige Zeit still. Er wischte an den Augen herum. Dann sagte er:
„So rettet man Menschenseelen! Sprich jetzt nicht mit mir, Effendi. Der Aschyk steigt hinauf, um mit Allah zu sprechen. Ich kann hier unten jetzt nichts anderes tun. Ich – – – bete auch!“
Ich glaube, es betete noch ein dritter!
Die Zeit verging. Nach einem kleinen Stündchen kehrte der Aschyk zurück.
„Da bin ich wieder“, sagte er. „Erlaube mir daß ich mich niedersetze, um euch alles zu erzählen, was ich zu berichten haben!“
„Nicht hier“, antwortete ich.
„Wo denn?“
„Komm wieder in das Boot!“
Wir stiegen ein und fuhren über den See hinüber nach dem Landeplatze. Von dort gingen wir nach dem hohen Haus. Im Hof verabschiedete ich Kara; den Aschyk aber nahm ich mit hinauf zu mir. Wir hatten unterwegs kein Wort gesprochen. Jetzt brannte ich die Lampe an. Er stand, ganz wie betreten, im Mittelzimmer und schaute sich um.
„Sind das die Räume, welche du bewohnst, Effendi?“ fragte er.
„Ja“, antwortete ich.
„Ich brauchte eigentlich nicht zu fragen, denn ich wußte es schon. Ich kenne Euer ganzes Haus; ich kenne alles, alles. Es war mir auch nicht unbekannt, daß im Wartturm noch leere Stuben sind; aber ich tat gegen Pekala so, als ob ich das nicht wisse, denn ich wollte hierher, oder doch wenigstens hinunter in die Wohnung des Ustad. Warum, das wirst du erfahren.“ Er trat an den Tisch, um die helle Schrift des Lampenschirms zu lesen.
„‚Die Liebe hört nimmer auf‘, steht da geschrieben“, sagte er. Dann drehte er sich mir wieder zu und fuhr fort: „Effendi, ich treffe in dir den ersten Menschen, der diese Worte nicht bloß liest, sondern auch nach ihnen handelt! Warum gibt es so viele Verlorene? Sie müssen verloren gehen, weil man ihnen schon den ersten, kleinen Fehltritt nicht verzeiht. Warum spricht man nur von Gerechten und nur von Ungerechten? Weil in der Mitte zwischen ihnen diejenigen fehlen, welche Menschen sein würden, wenn es welche gäbe! Ich meine die Menschen, welche ihrer Natur nach zuweilen sündigen dürfen, ohne sofort ausgestoßen zu werden! Sage mir, warum hast du mich hier herauf zu dir geführt?“
„Um dir zu zeigen, daß ich dir vertraue und daß bei uns kein Arg zu finden ist. Du wolltest dich hier einwohnen, um heimlich zu forschen und uns zu schaden. Nun schau dich um und frag nach allem, was dir beliebt! Ich bin bereit, dir alles zu zeigen und dir jegliche Auskunft zu erteilen.“ Da senkte er den Kopf.
„Wie du mich beschämst, Effendi! Wir wußten nur zu gut, daß nichts Arges oder gar Böses hier zu finden sei, nämlich jetzt. Desto sicherer aber später, denn – es sollte gefälscht werden. Und diese Nachahmungen und betrügerischen Verdrehungen sollten nicht nur dem Schah-in-Schah vorgelegt, sondern auch dem ganzen Land bekannt gegeben werden. Es gibt zwei Parteien, welche es auf die Vernichtung des Ustad abgesehen haben. Ich diente nur der einen, der frommen, weil sie besser belohnte als die andere; aber ich kenne auch diese andere, denn ich habe sie scharf beobachtet und bin ihren Anführern lange heimlich nachgestiegen, um hinter ihre Absichten und Geheimnisse zu kommen. Beide bekämpfen einander unerbittlich; aber sobald es sich um den Ustad handelt, gehen sie fein brüderlich Hand in Hand, jedoch dabei ruhmneidisch aufeinander, wer von ihnen am gewissenlosesten gegen ihn gehandelt habe. Wenn du wüßtest, was alles ich dir von ihnen erzählen kann!“
„Glaubst du etwa, daß ich mich fürchte, es zu hören?“ frage ich.
„O nein! Im Gegenteil! Sie, sie sind es, die sich zu fürchten haben, wenn ich dir alles sage!
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