23 - Im Reiche des silbernen Löwen IV
vollständig niedergeritten worden ist, will man mich mit ihm beschimpfen und blamieren. Laß dir erzählen, Effendi!“
Sein bisher heiteres Gesicht beschattete sich, als er begann:
„Der Name lautet eigentlich nur ‚Kiss‘, bekanntlich das arabische Wort für ‚Roman‘. Warum ich das Pferd, als es geboren wurde, grad so und nicht anders genannt habe, brauche ich nicht dir zu erklären, der du auch Bücher schreibst. Das ‚y-Darr‘ den ‚Schund‘, hat man erst jetzt hinzugefügt! Kiss stammte von edlen Eltern. Er war ein Hellbrauner von besten Eigenschaften und versprach, diesen Eltern und auch mir Ehre zu machen. Eben, als er sich zu einem reitbaren Pferd entwickelt hatte, traf ich mit einem Scheik der Kutubikurden zusammen, der mich bat, ihm dieses Pferd zu seiner Aufzucht gegen eine zu vereinbarende Gebühr zu leihen. Er wolle gern seine Rasse veredeln und sei überzeugt, daß Kiss sich am besten hierzu eigne. Dieser Mann sprach so rechtschaffend, so ehrlich, so bieder, daß ich ihm mein Vertrauen schenkte. Ich lieh ihm Kiss; er ging auf alle meine Bedingungen ein, gab mir Handschlag und Wort und zahlte auch die erste Rate der Leihgebühr. Die übrigen Gratifikationen aber blieben aus. Das war vor zwanzig Jahren. Seit dieser Zeit habe ich trotz aller Fragen und Mahnungen weder eine Gebühr erhalten noch mein Pferd zurück bekommen können. Der Mann ist gestorben. Seine Erben haben Kiss verkauft. Sie und der Käufer behaupten, das Pferd gehöre nicht mir, obwohl sie wissen, daß man solche Rasse überhaupt niemals verkauft. Es ist jedem Kutubikurden bekannt, daß man derartige Pferde höchstens nur gegen eine fortgesetzte und langjährige Rente aus den Händen gibt. Ich habe Kiss nur ein einziges Mal wiedergesehen, vor gar nicht langer Zeit. Er war über zwanzig Jahre alt, abgetrieben, entstellt, verletzt, verhunzt, besudelt, beinahe zur Karikatur gemacht, und nun hat ihn der Scheik ul Islam sich von dem Käufer schicken lassen, um ihn in dieser Heruntergekommenheit öffentlich gegen mich auszuspielen. Die Karikatur eines Pferdes sollte von der Karikatur eines Menschen, nämlich Tifl, hier vorgeritten werden, um vor aller Augen den Beweis zu liefern, welchen verderblichen Einfluß ich auf die Erziehung von Mensch und Tier besitze! Vor allen Dingen aber soll das arme, absichtlich mißhandelte Tier vor dem Rennen nicht als ‚Kiss‘, sondern als ‚Kiss-y-Darr‘, also nicht als ‚Roman‘, sondern als ‚Schundroman‘ ausgerufen werden. Du siehst, mit welchen Mitteln diese ‚Ebenbilder Gottes‘ gegen mich kämpfen!“
„So ist es also, so!“ sagte ich. „Nun ist ihnen aber Tifl entgangen. Vielleicht verzichten sie aus diesem Grund auf den beabsichtigten Streich?“
„Das denke nicht! Es wird sich schon ein feiler ‚Taki‘ finden, dem es eine Wonne ist, sich auf dem Schundroman vor aller Welt zu brüsten, weil ihn ein anderes Pferd sofort vom Sattel werfen würde! Nicht etwa, daß ich mich hierüber ärgere, o nein; ich freue mich sogar auf diese Hanswurstiade, denn, denn – – – ich habe etwas vor!“
„Was?“
„Kiss war edel und ist noch heute edel, trotz seines Alters und trotz seiner Entstellung. Der Kenner sieht sofort, was ursprüngliche Natur und was Verhunzung ist. Ich werde aus diesem Humbug einen Ernst zu machen wissen, an den zu denken ihnen Geist und Grütze fehlen! Du wirst es wohl erraten?“
„Allerdings. Wenn sie sich einbilden, uns mit ihrem ‚Schund‘ schlagen zu können, so werden sie es sein, die beschämt abziehen müssen. Du oder ich, ganz gleich; wir haben uns beide nicht zu schämen!“
„Ich höre, du hast mich verstanden. Übrigens scheint dieser Plan mit Kiss-y-Darr in demselben Gehirn entsprungen zu sein, aus welchem die famose Karawane des Pischkhidmät Baschi stammt. Sie sind einander so ähnlich. Mit dem Pferd wollen sie mich blamieren; mit jener Karawane, die auch nur Humbug war, sollte die Ehre des Schah-in-Schah an den heiligen Orten untergraben werden.“
„Woher weißt du das?“ fragte ich verwundert, weil auch ich mir schon so etwas ähnliches gedacht hatte.
„Der Herrscher hat es mir selbst erzählt. Es ist ihm über diese Karawane berichtet worden. Er hat nicht das geringste von ihr gewußt, und unter seinen Kammerherren befindet sich nicht ein einziger solcher Dummkopf, wie jener sogenannte Pischkhidmät gewesen ist. Darum hat er nachforschen lassen. Die Spuren führten zum Scheik ul Islam, und es stellte sich auch wirklich
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