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23 - Im Reiche des silbernen Löwen IV

23 - Im Reiche des silbernen Löwen IV

Titel: 23 - Im Reiche des silbernen Löwen IV Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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Sünde und von den Geistlichen verboten. Das habe ich von meinem Pfarrer, und der hat es aus der Bibel! Na, also.“ Hierauf spielte er ruhig weiter. Er ritt erst gegen Morgen fort, kam aber nicht ganz heim. Er mußte das arme Tier unterwegs einstellen. Es hatte so stark verschlagen, daß es eine unheilbare Lähmung davontrug. Da gab er es dem Schinder!
    Syrr war nicht nur edel, auch nicht nur hochedel; er war mehr. Ich hatte mir für heute eine große Fläche, einen weiten Spielraum zum Reiten gewünscht. Warum? Weil ich nicht sofort den Herrn und Gebieter spielen wollte. Der Rappe sollte zunächst ganz seinen eigenen, freien Willen haben. Er sollte gleich am ersten Tage herausfühlen, daß ich nicht so dumm sei, seine Natur, seine Gaben, seine Vorzüge zu knechten und zu knebeln. Das war doch ja das beste Mittel, diese Gaben und Vorzüge kennen zu lernen! Er merkte auch sehr bald, daß er mir zwar bis hierher habe folgen müssen, nun aber tun könne, was er wolle. Er wartete zunächst auf eine Willensäußerung von mir. Es erfolgte keine. Da blieb er überlegend stehen. Ich saß ohne Regung, denn er hätte der geringsten sofort gehorcht. Nun hob er den Kopf und wendete, nach vorn, nach rechts, nach links. Wie fein sein Geruchssinn war, hatte er mir unten in den Ruinen gezeigt, als er des Aschyk wegen stehen blieb. Das schätzte ich sehr hoch, denn ein Pferd ohne diese Sinnesschärfe hätte ich überhaupt nicht brauchen können. Nun schien er überzeugt zu sein, daß uns nichts stören werde. Da drehte er den Kopf halb zu mir herum und ließ ein leises, kurzes Halbwiehern hören. Das klang fast wie eine Frage, als ob er sagen wolle: „Na, darf ich denn auch wirklich?“ Ich streichelte ihm den Hals. Das war die Antwort. Da ging er vorwärts, langsam, quer tänzelnd, eine ganze Weile, die Knie zierlich werfend, als ob er zunächst die Sehnen und Gelenke prüfen wolle. Dann fiel er in Trab. Aber was war das für ein Trab! Ich staunte! War dieses Pferd nur Muskel? Das ging so weich, so geschmeidig, so elastisch, so nachgiebig, biegsam und federnd – mir fehlt das rechte Wort, das Richtige zu sagen! Dieser Trab war kein Laufen, sondern ein Fließen!
    Und nun folgte der Galopp. Erst kurz, graziös, feierlich stolz, paradierend, wie wenn ein König am Balkon der Königin vorüber reitet. Und doch so natürlich und so ungesucht, die reine, sehr wohl erlaubte Freude über sich selbst! Dann aber nicht mehr hoch, sondern weiter ausgestreckt. Das war fast wie der Flug eines Adlers, dessen Schwingen man sich nicht bewegen sieht. Und doch hatte ich das Gefühl, daß Syrr jetzt erst im Beginnen sei, seine Schnelligkeit zu zeigen! Er griff nach und nach immer weiter aus. Der Galopp ging ins Rennen über. Kilometer um Kilometer verschwand hinter uns. Die Sterne leuchteten, und der Mond lächelte freundlich zu dem guten Verhältnisse zwischen Mensch und Tier. Die jenseitigen Berge kamen schnell näher. Das Terrain wollte sich zu Tal senken. Syrr bemerkte es ebenso wie ich. Er schlug ganz von selbst einen Bogen, um zurückzulenken. Er wollte in bekannter Gegend bleiben, denn das, was er zeigen wollte, hatte er noch nicht gezeigt. Es sollte erst noch kommen.
    Es schien, daß diese Karriere ihm Vergnügen, keineswegs aber eine Anstrengung sei. Wie aber stand es da mit mir, dem Abgeschwächten, dem Rekonvaleszenten? Was Schwachheit, und was Rekonvaleszent? Lächerlich! Ich war gesund, ganz plötzlich gesund, und aber wie gesund! Erschlaffung und Entkräftung? Auf einem solchen Pferd? Setzt einen Toten in diesen Sattel, und er muß wieder lebendig werden, unbedingt! Denn jetzt war es, als ob alles, alles verschwinden müsse, was lebenswidrig, was körperlich hindernd war. War Syrr jetzt Geist geworden, nur Geist, vollständig ohne Fleisch und Bein? Er lief nicht mehr; er galoppierte und rannte nicht mehr, und – er flog nicht mehr! Nein! Sondern wir standen still. Aber die Ebene, die ganze Erde um uns war in rasender Bewegung. Sie schoß auf uns zu und rechts und links und unter Syrrs lang ausgestrecktem Leib hinweg nach hinten. Es war, um schwindelig zu werden! So laufen arabische Pferde allerersten Ranges, wenn der Reiter das sogenannte ‚Geheimnis‘ in Anwendung bringt – – – auf Leben und Tod! Aber weder der berühmte Rih noch sein gleichwertiger Sohn Ben Rih hatten trotz ihrer bewundernswerten Leistungen diesen köstlichen Syrr erreicht, der den Raum, die Zeit und die Materie bloß nur in Gedanken verwandelte, ohne

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