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23 - Im Reiche des silbernen Löwen IV

23 - Im Reiche des silbernen Löwen IV

Titel: 23 - Im Reiche des silbernen Löwen IV Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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Germane nennt so ein Dach ‚Marquise‘. Dort legte ich mich nieder und trank einen Tee, welcher alle Poren öffnete und mir aber dafür die Augen schloß. Ich schlief ein.
    Als ich erwachte, war es Nacht. Veilchen dufteten, drüben an der Balustrade saß Schakara, vom Mond hell beleuchtet. Ich sah, daß sie die Augen auf mich gerichtet hielt.
    „Dschanneh, wo sind die Veilchen her?“ fragte ich. „Im Garten und auf der Weide blühen sie nicht mehr.“
    „Ich ließ sie von hoch oben holen“, antwortete sie. „Jenseits des Alabasterzelts hören sie gar nicht auf, zu blühen und zu duften. Du hast sehr gut geschlafen und sehr regelmäßig geatmet. Nun sag, kannst du klar und deutlich denken? Oder macht es dir Mühe, Gedanken zu fassen und festzuhalten?“
    „Gar keine Mühe! Es liegt alles bestimmt und scharf vor meinem Geist. Ich könnte dir ohne die geringste Anstrengung jedes einzelne Wort wiederholen, welches drüben im Allerheiligsten gesprochen worden ist.“
    „Das ist gut, sehr gut! Deinem geistigen Körper sind die Ansteckungsstoffe also fern geblieben, und aus dem leiblichen werden wir sie schnell wieder herausbekommen.“
    „So ist also wohl kein Rückfall zu befürchten?“
    „Da es so steht, nicht. Der Ustad ist derselben Meinung wie ich. Er war öfters hier; erst wieder vor einigen Minuten.“
    „Nun aber schläft er wohl?“
    „Schlafen? Was nennst du Schlaf, Effendi? Ich schlafe wohl auch, indem ich hier bei dir wache; aber so oft du die Augen öffnest, wirst du die meinen auch offen sehen. Du nennst mich ja Dschanneh!“
    Das waren so tiefe Worte! Sie sagten so viel über Leib und Geist und Seele. Ich dachte über sie nach und schloß dabei die Augen. Da rauschte Schakaras Gewand. Sie war aufgestanden, kam zu mir her, legte mir die Hand auf die Stirn und sagte:
    „Ich fühle, daß mein Bruder denkt. Er will den Sinn ergründen, der in meinen Worten liegt. Das ist aber nicht möglich, weil er noch so viele Stufen zu steigen hat, bis er dahin kommt, wo er mich verstehen kann. Und, weißt du, vergebliches Bemühen des Geistes bereitet der Seele Schmerzen. Darum zog es mich von dort auf und zu dir her. Bitte, denke nicht mehr darüber nach! Wir gehen ja, sobald hier alles vollendet ist, hinauf zu unserer Marah Durimeh! Das sind die Stufen, die du zu steigen hast. Sind wir oben, so wirst du sie und mich und dann wohl auch dich selbst begreifen. Jetzt schlaf – – – schlaf wieder ein! Dschanneh will es; du wirst es also tun!“
    Ich verstand jedes ihrer Worte, war also vollständig wach. Ich fühlte, daß von ihrer Hand ein süßer Friede, eine selige Ruhe auf meine Stirn herüberfloß und sich von da aus über mein ganzes Wesen breitete, und wenn man das so deutlich, so scharf beobachtend empfindet, so kann man doch wohl nicht schon eingeschlafen sein! Und aber doch und doch – – – denn ich führte meine Hand zur Stirn, um sie auf die ihrige zu legen und ihr zu danken, da sagte sie:
    „Effendi, ich berührte dich, um dich zu wecken. Es nahen uns Gäste, die du vielleicht gern kommen sehen möchtest.“
    Die Augen wieder aufschlagend, sah ich sie im hellsten Sonnenlicht vor mir stehen. Es war fast Mittagszeit!
    „Du staunst?“ fragte sie, schalkhaft lächelnd. „Du wirst dich wohl noch öfters wundern, bis du weißt, was Dschanneh ist und was sie kann! Agha Sibil ist mit seiner Familie angekommen und hat schon begonnen, sein Zelt zu errichten. Und vor einigen Minuten berichtete ein Bote aus dem Grenzduar, daß deine Bagdader Freunde dort übernachtet haben und gegen Mittag hier sein werden. Wenn du sie sehen willst, darfst du aufstehen, doch nur für ein Stündchen, und ohne hinunter zu gehen oder sie herauf kommen zu lassen.“
    „Kennt Agha Sibil die Zeit ihrer Ankunft?“
    „Nein, wir verschwiegen es ihm. Er wird zwar in seinem Zelt wohnen, ist aber für heute mittag unser Gast. Wir richten es so ein, daß ihn sein Schwiegersohn hier in der Halle beim Essen überrascht.“
    „So stehe ich freilich auf und mache es wie Hadschi Halef, der sich jedenfalls auch ganz vorn aufs Dach postieren wird, um unseren ‚früheren Bimbaschi und jetzigen Mir Alai‘ zu begrüßen.“
    „Und ob er das tun wird!“ antwortete sie heiter. „Er sitzt wohl schon jetzt bereit, denn Hanneh war im Hof, als der Bote kam, und hat es ihm sofort berichtet. Der Ustad ist mit Dschafar Mirza dem Mir Alai entgegengeritten. Errätst du, auf welchem Pferd?“
    „Auf der Sahm?“
    „Nein, sondern auf

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