23 - Im Reiche des silbernen Löwen IV
dürfen.“
„Fürchtest du nicht den Leumund, wenn man erfährt, was du gewesen bist?“
„Was man verachtet, kann man doch nicht fürchten! Gute Menschen verzeihen; was die anderen tun, kommt nicht in Betracht. Sobald ihr mich hier nicht mehr braucht, werde ich mich bei der Behörde zur Strafe melden, der ich mich durch die Flucht entzogen habe. Ist sie verbüßt, so kehre ich als neuer Mensch zurück. Vielleicht nimmt mich dann der Ustad auf!“
„Ist das dein Ernst, dein wirklicher Ernst?“ fragte ich.
„Ja, Effendi. Ich habe es mir reiflich überlegt. Ich bin dazu entschlossen und tue es unbedingt.“
„Aber bedenke! Es stehen dir mehrere Jahre Gefängnis bevor, schweres, bitteres Gefängnis! Du kannst das sehr leicht vermeiden, indem du dich einfach nicht meldest. Es sucht ja kein Richter und keine Polizei mehr nach dir. Das Gesetz hat dich also aufgegeben. Und hier, wo du dich befindest, ist dein Name unbekannt. So laß ihn doch gestorben sein, und nimm einen anderen an! Dann bist du auch ein anderer Mensch, und deine Vergangenheit ist vollständig vergessen!“
Es versteht sich ganz von selbst, daß ich das nur sagte, um ihn zu prüfen. Er schüttelte den Kopf und antwortete:
„Ich kann nicht glauben, daß deine Worte wirklich so gemeint sind, wie sie klingen. Ich muß mich ausliefern; ich muß, ich muß, ich muß! Noch bis vor wenigen Tagen hätte ich diesen Gedanken freilich für Wahnsinn gehalten, für die blödeste Albernheit, die es nur geben kann. Aber da unten, neben dem Gerippe, in der schrecklichsten aller Finsternisse, in der innerlich laut heulenden tiefen Stille, die äußerlich um mich lag, an der zwar nur leise, leise, aber umso entsetzlicher in sich knirschender Säule, die von Augenblick zu Augenblick über mir einzustürzen und mich zu zerschmettern drohte, ist mir das rechte, wahre Licht hierüber aufgegangen. Ich will und will und will die Strafe haben, um mit mir selbst, mit meinem Gewissen quitt zu werden. Indem ich ihr entgehen wollte, habe ich mir eine noch viel fürchterlichere auferlegt. Ich flüchtete mich doch nur aus dem einen in das andere Gefängnis, in die Gefangenschaft des Bösen. Und was das heißt, und welche Qualen das bringt, davon hast du keine, keine, keine Ahnung, Effendi!“
Er bewegte den tief gesenkten Kopf schwer und langsam hin und her und fuhr dann fort:
„Der Scheik ul Islam versprach mir, sich für meine Begnadigung zu verwenden. Dieser Tor! Wie unverzeihlich dumm ist er doch in Beziehung auf die Menschenseele, er, der doch behauptet, daß ihm tausende von Seelen von Allah anvertraut worden seien! Oder war es nicht Dummheit, sondern gewissenlose Hinterlist? Neue Verbrechen zu den alten fügen, um Gnade zu erlangen! Dann wäre mir zwar die äußere Strafe erlassen worden, aber die zur Gigantin erwachsene Schuld in mir hätte nur um so lauter nach Rache, nach Vergeltung aufgebrüllt! Äußerlich gerettet, innerlich aber für immer verloren, so hätte es mit mir gestanden! Ja, ich weiß es, und ich fühle es: die Gnade ist der Sühne gleich, der vollständigen Sühne. Sie hat vielleicht sogar noch größere Macht als diese Sühne; aber es ist ganz unmöglich, daß sie auf bösem Weg zu uns niederkommen kann. Wenn mir der Scheik ul Islam heute, jetzt, die Erlassung meiner Sünden und meiner Strafe brächte, ich würde sie nicht annehmen!“
„Wirklich nicht?“
„Nein; denn eine Gnade aus solcher Hand wäre nichts als Spiegelfechterei, die mich um mich selbst betrügen würde!“
„So sag, was würdest du wohl tun, wenn ein anderer sie dir brächte? Nicht auf bösem, sondern auf gutem Wege?“
„Ein anderer? Wer könnte das wohl sein?“
„Das weißt du nicht?“
„Nein!“
„Weil man dir weisgemacht hat, daß die Gnade nur durch ein Vermittlungsgeschäft zwischen dir und dem Schah-in-Schah zu erlangen sei! Es kann sie dir nur einer bringen, ein einziger, und der bist du selbst! Bleib nur nicht stehen! Geh auf dem Weg weiter, den du jetzt beschritten hast! Er ist gut, und die Augen des Schah-in-Schah sind scharf. Es bedarf keines Menschen, der sich mit seinem erlogenen Einfluß auf den Schah vor dir und anderen brüstet. Ich sage dir vielmehr, und du kannst es mir glauben, denn ich bin wohlunterrichtet: Der Herrscher kennt den Scheik ul Islam ganz genau. Die Fürbitte grad dieses Mannes wäre nicht etwa zu deinem Heile, sondern zu deinem Verderben ausgefallen. Sie hätte dich als sein Geschöpf bezeichnet und damit nur bewiesen, daß
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