23 - Im Reiche des silbernen Löwen IV
sehnte. Wer aber kam da eiligen Schrittes gelaufen? Der Ustad!
„Willst du gleich wieder hinauf!“ lachte er. „Schau dir die Welt von oben an! Unten darf man ja noch gar nicht wissen, wie gesund und energisch du bist!“
„Ja, richtig; daran hatte ich gar nicht gedacht! Aber arretiere mich nicht sofort, sondern erlaube mir, Syrr vorher einige Äpfel zu holen!“
„Das werde ich tun, und zwar bringe ich seine Lieblingssorte. Schakara hat sie mir verraten.“
Während er nach dem Garten ging, war es gradezu rührend für mich, zu sehen, wie der Glanzrappe sich darüber freute, daß ich wieder einmal bei ihm war. Er gab mir das nicht etwa in drolliger Weise zu erkennen, sondern so still, so ruhig, fast möchte ich sagen, so innig oder so herzlich, als ob es eine menschliche Anmaßung sei, daß Tiere absolut keine Seele haben sollen. Man pflegt ihnen höchstens sogenannte ‚psychische Funktionen‘ zu gestatten. Nun wohlan, die psychischen Funktionen meines Syrr waren ehrlich, aufrichtig und ohne eine Spur von Falschheit oder Verstellung. Hoffentlich ist das bei den Menschenseelen in entsprechend höheren Grade ebenso der Fall!
Als er wiederkam, reichte er Syrr einen der Äpfel hin. Das Pferd roch die Frucht gar nicht einmal an. Es legte die Ohren nach hinten und wich einige Schritte zurück. Der Ustad tat einen zweiten Apfel zu dem ersten und folgte nach. Syrr ging abermals rückwärts, und der Ustad avancierte wieder, ihm die Äpfel hinhaltend. Da drehte sich der Rappe um und hob den hintern Fuß, zum Zeichen, daß er sich nun wehren werde.
„Was? Schlagen will er mich!“ verwunderte sich der Ustad. „Er ist also wirklich edler als Assil, der keinen Unterschied macht zwischen mir und dir!“
„Ja. Der höchste Adel zeigt sich eben darin, daß er distinguiert, nicht aber in den Fransen und Quasten, mit denen der Herr ihm Zaum und Sattel behängt. Teilen wir die Früchte zwischen beide Pferde!“
Wir taten es. Der Ustad gab Assil die eine Hälfte; die andere bekam Syrr von mir. Er nahm sie jetzt ohne Weigern, und ich liebkoste ihn dafür. Indem wir dann fortgingen, sagte der Ustad:
„So; nun gehst du wieder hinauf, doch nicht, ohne daß ich dich für deine Folgsamkeit belohnen werde. Du sollst dich am Tag so wenig wie möglich zeigen; aber heut abend reiten wir im Dunkel mit Kara zusammen nach dem Dschebel Adawa, um zu versuchen, etwas über die dortige Zusammenkunft zu erfahren. Ist dir das recht?“
„Sogar sehr, falls du glaubst, daß ich nicht zu schwach zu diesem Ritt bin.“
„Zu schwach?“ fragte er lächelnd. „Nach einer so ausgiebigen Schlafmützigkeit? Übrigens wird es interessant, auch wenn wir nichts neues sehen und hören. Du reitest den Syrr, ich den Assil und Kara den Barkh. Das gibt heimwärts ein Vorrennen, welches uns zeigen wird, wie weit wir in unsern Berechnungen gehen dürfen.“
Ich war mit dem geplanten, abendlichen Ritt natürlich sehr gern einverstanden. Man wird sich erinnern, daß der Fürst der Schatten seine Pädärahn für heut um Mitternacht nach dem Dschebel Adawa, dem ‚Berge der Feindschaft‘, bestellt hatte, um ihnen seine letzten Weisungen zu erteilen. Zwar kannten wir die Stelle nicht, an welcher diese Unterredung stattfinden sollte, doch bot uns der alte Holunderbaum, in dem Kara die Agraffe gefunden hatte, einen Halt, den wir benutzen konnten. Als ich das dem Ustad jetzt sagte, antwortete er:
„Das ist ganz derselbe Gedanke, den auch ich verfolgen will. Ahriman Mirza wird kommen, um seine Agraffe abzuholen. Wenn wir uns vorher dort verstecken und ihm dann heimlich nachschleichen, wird er unser Führer sein, ohne es zu ahnen.“
„Aber die Gefahr, in welche wir uns begeben?“
„Gefahr? Wie drollig dieses Wort klingt, wenn man es aus deinem Mund hört! Wo du nicht ängstlich bist, kann ich es doch ebensowenig sein. Übrigens bewaffnen wir uns gut und legen andere Kleider an.“
„Welche?“
„Die Anzüge vom Schah. Ich habe ja auch einen. Du sagtest, Ahriman Mirza sei genau so gekleidet gewesen. Er wird es wahrscheinlich wieder sein. Ich glaube zwar nicht, daß man uns sehen wird. Aber sollte es doch geschehen, so wird man vermuten, daß wir zu der persischen Begleitung gehören, die mit ihm bei den Taki angekommen ist. Es ist dann sogar möglich, daß man glaubt, er selbst habe – – – Ah“, unterbrach er sich da, „vielleicht ein guter Gedanke: Ich nehme seine Reitpeitsche mit, in welcher die schwarze Larve steckt! Kommt dann noch
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