23 - Im Reiche des silbernen Löwen IV
einen Augenblick herum, um zu sehen, ob er ihn auch wirklich überholt habe, und nahm dann nur noch Assil in die Augen. Dieser war ungefähr zwanzig Pferdelängen voran.
„Sabah bil-cher – guten Morgen!“ rief ich nun dem Ustad zu. „Mach schnell, sonst wird es Tag!“
Er antwortete nur, indem er den Arm in die Luft warf, denn etwas anderes hätte den Lauf seines Pferdes leicht hemmen können. Dennoch wurden aus den zwanzig Längen fünfzehn – zehn – fünf – zwei – eine – jetzt hatte ich ihn! – wieder einige federschnellende Sprünge meines Syrr – da war ich voraus –
„Gibst du zu, daß du bald weit hinter mir sein wirst?“ fragte ich.
„Warum das ausdrücklich zugeben?“ antwortete er.
„Weil ich dann innehalte. Ich möchte meinen Assil nicht kränken. Er schämt sich, wenn er überholt wird.“
„Das ist brav von dir! Ja, dein Syrr ist uns über, sogar weit über. Hemmen wir also den Lauf!“
Indem wir dies taten, holte uns Kara schnell ein. Da war es geradezu rührend, daß alle drei Pferde vor Freude darüber, daß sie nun wieder beisammen waren, laut aufwieherten, eines wie das andere, fast ‚wie aus einem Mund‘, wie man zu sagen pflegt. Und nun sahen wir, wie unglaublich schnell uns dieses Proberennen vorwärts gebracht hatte: Die Ebene war zu Ende; die Berge der Dschamikun lagen vor uns. Wir hatten nur noch hinunter in das Tal und drüben wieder hinaufzureiten, um an den Steinbruchweg und also heimzukommen. So leicht, so schnell kommt der Mensch vom Bösen auf das Gute, wenn er die Kräfte zu benutzen weiß, die ihn nach oben und heim zu tragen haben!
Wir konnten mit dem Resultat dieses Proberitts im höchsten Grade zufrieden sein. Hatten wir uns schon vorher nicht vor dem Rennen gefürchtet, so waren wir nun vollständig überzeugt, wenn nicht alle, so doch wenigstens die Haupttouren sicher zu gewinnen. Bei uns angekommen, sorgten wir zunächst für die herrlichen Tiere; dann trennten wir uns. Ich ging sogleich schlafen und wachte erst am späten Morgen auf.
Als Schakara mir das Frühstück brachte, sagte sie mir, daß noch während der Nacht ein Eilbote des Schah gekommen und dann mit der Antwort des Ustad wieder fortgeritten sei. Er habe sich absichtlich so gekleidet gehabt, daß niemand erraten konnte, wer oder was er sei. Der Herrscher hatte nichts weiter als den Befehl geschickt, womöglich Blutvergießen zu vermeiden. Der Ustad war erfreut gewesen, bei dieser Gelegenheit dem Schah zunächst das von dem Aschyk erhaltene Verzeichnis und sodann auch die heut nacht erlangten beiden Kaiserdokumente senden zu können. Damit waren der Scheik ul Islam und Ahriman Mirza ein für allemal vernichtet. Und zugleich hatte er auch ein Gnadengesuch für den Aschyk beigelegt. Ich dachte, als ich dies hörte, an seinen Ausspruch, daß der Aschyk ein prachtvoller Mensch geworden sei. Er hatte sich hierüber nicht weiter geäußert; nun aber erfuhr ich von Schakara, daß der Aschyk sich Ibn el Idrak freiwillig zur Verfügung gestellt und eine gradezu erstaunliche Geschicklichkeit und Ausdauer entwickelt habe, die Taki zu überzeugen, daß man durch lichtscheuen Ungehorsam gegen den Schah nichts als den eigenen Untergang erreiche. Übrigens sei der Ustad der Meinung, daß die dortigen Ultras den Mut nicht haben würden, den sie zeigten, wenn sich nicht grad jetzt der Scheik ul Islam, der Mirza und die Gul-i-Schiras bei ihnen befänden, in deren Interesse es liege, diese Leute in ihrem stupiden Fanatismus zu bestärken.
Ich war noch nicht draußen auf meinem Freidach gewesen. Jetzt bat mich Schakara, mit ihr hinauszukommen, weil sie mir Interessantes zu zeigen habe. Sie meinte da zunächst ein großes, herrschaftliches Zelt, welches, schon fast fertig, drüben in den Ruinen errichtet worden war. Nicht weit davon sah ich andere Leute beschäftigt, ein zweites, auch großes, aber nicht so prächtiges herzustellen. Auf meine Frage, für wen diese beiden Zelte seien, antwortete sie:
„Das so schön ausgeschmückte ist für die Gul-i-Schiras bestimmt. Sie handelt da jedenfalls im Auftrag des Ahriman Mirza, der hierdurch der Besetzung der Ruinen durch die Taki vorauskommen will. Ihre Leute kamen schon kurz nach Tagesanbruch hier an, um den Bau sogleich zu beginnen. Der Scheik ul Islam scheint so etwas gewußt oder wenigstens geahnt zu haben, denn er hat sich beeilt, wird sich nun die himmlische Tugend eng neben dem irdischen Laster niederlassen, und zwar beide, ohne uns vorher um
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