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23 - Im Reiche des silbernen Löwen IV

23 - Im Reiche des silbernen Löwen IV

Titel: 23 - Im Reiche des silbernen Löwen IV Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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in der aber nur die Indianer und Jäger des ‚fernen Westens‘ von Nordamerika wirklich Meister waren. Ich sollte bald erfahren, daß ich mich da geirrt hatte. Der Haß ist auf dem Schleichweg immer Meister. Er kann sich da in Beziehung auf seine Arglist und Ausdauer rühmen, unübertrefflich zu sein.
    Der neben mir sitzende Ustad hatte zu mir herübergegriffen und meine Hand in die seinige genommen. Er hielt sie fest.
    „Wie lieb ich dich habe, Effendi!“ flüsterte er mir zu. „Ich habe es gar nicht gewußt. Aber als ich hörte, daß es sich um einen Angriff gegen dein Leben handle, erhob sich ein Gefühl in mir, als ob wir leiblich und geistig so eng verbunden seien, daß wir miteinander eine gleich denkende und gleich empfindende, vollständig unzertrennliche Einheit bilden.“
    „War es wirklich ein Gefühl? Oder doch vielleicht etwas anderes?“ fragte ich. „Wenn sich verwandte Geister küssen, fließen die Pulse ihrer körperlichen Herzen zu einem einzigen zusammen. Das Wort Geisterliebe klingt gespensterhaft, aber sie ist die höchste und die mächtigste, welche das Hier mit dem Dort verbindet. Indem sie das eine zu dem anderen emporhebt, bringt sie die Seligkeit.“
    Vielleicht hätte ich noch etwas hinzugefügt, da ich mit diesem Gedanken mein Lieblingsthema berührte, aber ich verzichtete darauf, denn es war mir, als ob ich soeben etwas gehört und auch etwas gesehen habe. Es war nichts Bestimmtes, nichts für die Augen und Ohren fest Greifbares, sondern nur ein leises Rauschen oder Wehen wie von einem leichten Gewand, das schnelle Vorüberhuschen von etwas sich Bewegendem, aber gestaltlos und haltlos, von keinem wirklich existierenden Wesen rührend.
    „Sahst du etwas? Hörtest du etwas?“ fragte ich den Ustad.
    „Nein. – Du?“ antwortete er.
    „Es war, als ob ein halbsichtbarer Gedanke quer durch die Halle gehuscht sei.“
    „Wohin?“
    „Nach der Ecke, wohin der Multasim kommen wird.“
    „Den haben wir von draußen zu erwarten. Der ist nicht hier in dem Raum versteckt. Es wird eben, wie du sagtest, ein Gedanke gewesen sein.“
    Das schien mir so richtig daß ich annahm, mich wirklich getäuscht zu haben. Der, den wir erwarteten, konnte doch jedenfalls nicht aus der Ecke kommen, in welcher mein Hadschi Halef schlief. Wir hatten unsere Aufmerksamkeit nur nach dem Eingang zu richten, und das taten wir in einer Weise, welche erwarten ließ, daß wir den Bluträcher trotz des allervorsichtigsten Anschleichens ganz gewiß und sofort sehen würden.
    Es verging aber Zeit um Zeit, Viertelstunde um Viertelstunde, ohne daß wir etwas bemerkten. Da – es mochte wohl nach einer Stunde sein – gab es irgendwo ein leises Kratzen oder Scharren und hierauf ein ziemlich lautes, hastiges Atemholen, welches fast wie Röcheln klang. Der Ort, woher es kam, war nicht zu bestimmen. Ich nahm an, daß einer der versteckten Dschamikun so unvorsichtig gewesen sei, diesen lauten Atemzug zu tun, der uns sehr leicht verraten konnte; da aber erklang Kara Ben Halefs helle Stimme:
    „Sihdi, laß die Lichter hereinbringen!“
    Ich war natürlich außerordentlich überrascht, zumal dieser Ruf nicht von dem Bett seines Vaters her, wo er sich doch befunden hatte, erschollen war.
    „Wo befindest du dich?“ fragte ich ihn, selbstverständlich ebenso laut.
    „Hier an deinem angeblichen Lager.“
    „Welche Unvorsichtigkeit!“
    „Sag lieber, welche Pfiffigkeit! Denn wenn ich nicht vorsichtiger gewesen wäre als ihr, so hätte er sich wieder fortgeschlichen. Ich habe ihn!“
    „Maschallah! Ist das wahr?“
    „Würde ich es sagen, wenn es anders wäre? Bringt Licht!“
    Wir sprangen alle auf. Die Tür zum Hausgang wurde geöffnet, und die da draußen stehenden Leute kamen mit ihren brennenden Kerzen und Öllampen herein. Was wir nun sahen, das war allerdings verwunderlich. Ganz nahe an dem Bett, welches als das meinige gegolten hatte, lag ein Mensch, mit dem Rücken nach oben, vollständig bewegungslos. Er war nur mit der Hose bekleidet, sonst aber nackt, und hatte den Oberkörper und die Arme mit Öl eingerieben. Das ist eine Gepflogenheit der beduinischen Anschleicher, welche sich dadurch so schlüpfrig machen, daß sie, falls man sie entdeckt, nicht festgehalten werden können, weil das Öl oder Fett dem Körper eine Glätte verleiht, die jeden festen, ehrlichen Griff vergeblich macht. Bei ihm kniete Kara, welcher ihm beide Hände so fest um den Hals gelegt hatte, daß dem Ertappten die Möglichkeit der

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